Die Freilernerzeitschrift gibt es schon seit über 20 Jahren. Sie ist als Plattform für Familien, Initiativen und Vereine, die sich mit selbstbestimmten und selbstorganisierten Bildungsformen beschäftigen, entstanden. Es sind viele Familien dabei, die die Schulpflicht verweigern oder im Ausland schulfrei leben, sowie auch freie aktive und demokratische Schulen und junge Erwachsene, die sich alternative Bildungsprojekte organisieren. Wir bieten Raum für eine breite Vielfalt und stehen für Pluralität, Offenheit und Toleranz, doch wir stellen uns deutlich gegen jegliche diskriminierende, gewaltverherrlichende und nationalistische Ansätze und Ideologien.
Die Zeitschrift erscheint vier Mal im Jahr als gedruckte Ausgabe und ist auch digital als PDF erhältlich. Wer unsere Arbeit unterstützen möchte, kann dies mit einem Förderabonnement tun. Auch gibt es die Möglichkeit, in der Zeitschrift Kleinanzeigen und Werbeanzeigen zu schalten.
Und wer regelmäßig zu unseren Themen informiert werden möchte, kann unserer Facebookseite folgen und sich in unseren Freilerner-Newsletter eintragen.
Artikel lesen:
Daheim auf dem Land und im Internet
Ich, Malchus Kern, bin ganz im Süden Deutschlands auf dem Land aufgewachsen. Neben Milchkühen und Streuobstwiesen, auf denen sogar einmal Werbung für Apfelsaft aus Norddeutschland gedreht wurde. Meine Nachbarn waren Bauern, viele meiner Schulkameraden wuchsen »auf dem Hof« auf.
In meiner Kindheit war es ein allabendliches Ritual, die paar Meter über die Wiese zu laufen und die noch warme Milch in Milchkannen abzuholen. Für mich war das eine schöne Zeit, voller wilder Abenteuer im Wald und dem Sammeln von Hühnereiern im Stall. Auch hatte ich schon in jungen Jahren meinen kleinen eigenen Garten, zog Erbsen heran und pflanzte Kürbisse auf dem Komposthaufen. Und jedes Jahr im Herbst machten wir ein paar Liter Apfelsaft, aus den Äpfeln vom Nachbarn.
Den Hof meiner Kindheit gibt es so nicht mehr, schon damals wurde er nur noch im Nebenerwerb betrieben – denn mit 30 Kühen kann man kein Geld verdienen. Heute werden die Äpfel zwar immer noch verarbeitet, die Wiesen aber sind an andere Landwirte verpachtet. Ein paar Kühe stehen noch auf den Wiesen, aber mehr als Hobby und der Gewohnheit wegen, nicht weil sie einen Ertrag bringen würden.
Doch die Art des Lebens nah an der Natur, im Rhythmus mit den Jahreszeiten, zusammen mit Tieren und zu wissen, wo die eigenen Lebensmitteln herkommen und sie dadurch mehr schätzen zu können, das hat mich schon immer fasziniert. Weiterlesen
Gibt es den perfekten Lernort?
Vor kurzem habe ich eine deutsche Reisende kennengelernt, mit der sich ein sehr angeregtes Gespräch über das natürliche und selbstbestimmte Lernen ergeben hat. Sie arbeitet momentan als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache in einer Willkommens-Klasse an einer Schule in Deutschland; sie kennt die negativen Seiten des Systems und ist individuellem Lernen gegenüber sehr aufgeschlossen. In diesem Gespräch sagte sie etwas, das mich nachdenklich machte – sie sagte: »Ich glaube hier, so mitten in der Natur, gibt es die besten Voraussetzungen für das Freilernen, in der grauen Stadt gibt es viel weniger zu entdecken und zu lernen im Alltagsleben.«
Mich erstaunte diese Aussage ziemlich, vor allem, weil es mitten in einer Phase war, in der mir unsere Umgebung extrem eintönig und langweilig vorkam und ich mir sehnlichst mehr Möglichkeiten für unsere Kinder wünschte.
An dieser Stelle sollte ich wahrscheinlich erst einmal beschreiben wo wir wohnen: Wir leben seit ca. 3 Jahren auf der Insel Bastimentos im Archipelago Bocas del Toro, vor der westlichen Karibikküste Panamas gelegen. Hier ist die Heimat meines Mannes und nach einigen gemeinsamen Jahren in Deutschland haben wir uns entschlossen hierher (zurück) zu ziehen. Die Insel ist zum allergrößten Teil tropisch dicht bewachsen und es gibt nur ein Dorf, ein paar weitere kleine Häuseransammlungen und keine Autos. Die Hauptinsel ist ca. 10 Minuten mit dem Boot entfernt, dort ist die Infrastruktur von Tourismus geprägt und es gibt hauptsächlich Gästehäuser, Hotels und Restaurants sowie Supermärkte und ein paar wenige Warengeschäfte. In dem Dorf, in dem wir leben, gibt es neben den hölzernen Wohnhäusern noch ein paar Gästehäuser, einfache Restaurants und drei kleine Lebensmittelläden. Wir als Familie betreiben eine kleine Saftbar und Surfbrettverleih und vermieten ein Privatzimmer in unserem Haus sowie ein Ferienhaus. Der Rest der Umgebung ist pure Natur: es gibt wunderschöne Strände, türkisblaues Meer, Dschungel und spannende Tiere. Manchmal gibt es auch tagelang Regen, matschige Trampelpfade, heftige Gewitterstürme, viele Mücken und andere Stech- und Krabbeltierchen – Natur in all ihren Facetten :-). Weiterlesen
Freilernen in Potsdam und Berlin
Was den Wohnort angeht, bin ich immer wieder hin- und hergerissen zwischen dem Leben in der Natur und dem Leben in der Stadt. Ich sehe bei beidem die Vorteile und möchte gerne das Beste aus beiden Welten zusammenbringen. Wir leben aktuell in der Stadt und ich habe fast mein gesamtes Leben in der Stadt verbracht. Aber nach einem Jahr, in dem ich mitten in der Natur gelebt habe, kenne ich auch die schönen Seiten des Lebens auf dem Land.
In der Stadt, und vor allem einer Großstadt, sehe ich viele Vorteile. Zum Beispiel, dass man gerade als alternativ lebender Mensch gut Anschluss finden kann an Gleichgesinnte. Ich höre oft von alternativ eingestellten Menschen, die in kleinen Städten oder auf dem Land leben, dass sie beäugt werden von den häufig konservativ eingestellten Mitmenschen. Oder, dass »selbst wenn« ein respektvoller Umgang herrscht, dennoch der Anschluss fehlt an Gleichgesinnte, mit denen man ganz entspannt reden kann, z. B. über das Freilernen – ohne ausgiebig erklären zu müssen, warum man kritisch gegenüber der Schule eingestellt ist oder warum Vorurteile gegenüber dem Freilernen nun einmal nichts anderes als Vorurteile sind. Weiterlesen
Mathe mit Spaß?
»Und wie soll das mit Mathe gehen?«, diese Frage stellte ich mir besonders intensiv, nachdem unsere Söhne sich entschieden hatten, sich nicht mehr weiter in der Schule zu bilden. Meine Antwort darauf war teuer. Nachdem ich an einer freien Alternativschule unterrichtete und selbst Montessori-Materialien einfach toll fand, habe ich für die Beschäftigung mit Mathe damals 2000 DM für Materialien ausgegeben und zusätzlich noch einiges selbst hergestellt. Tja, das war auch so ein Bereich, in dem sich meine Erwartungen nicht mit denen meiner Söhne deckten. Im Laufe von fünf Jahren hat keiner unserer Söhne das Montessorimaterial auch nur angeschaut. M. meinte später dann auch dazu: »Das roch nach Lernen!« Und dazu wollten sie sich einfach nicht drängen lassen bzw. ihre ganz eigenen Wege finden. Weiterlesen
Muße im Kapitalismus
Muße, oder: Über die Unterordnung des erlaubten Materialismus unter kapitalistische Notwendigkeiten
Es gab eine Zeit, in der Adel und Klerus als »Klasse der Müßiggänger« 1 bezeichnet wurden. Zu tun und zu lassen, was einem beliebt und sich ganz frei von Notwendigkeiten allein privaten Neigungen, Wünschen und Genüssen hinzugeben, kurz: seinen Materialismus zu leben, so etwas wird nur dann zum Etikett einer ganzen »Klasse«, wenn in der Gesellschaft andere »Klassen« dazu genötigt sind, nicht nur für den eigenen Lebensunterhalt, sondern zugleich noch für den der »Müßiggänger« zu sorgen. Dabei versteht es sich von selbst – die Rede ist ja vom Feudalismus -, dass die Sorge für das leibliche Wohl und für alle materiellen Voraussetzungen sonstiger mehr oder weniger blöder Neigungen der hohen Herrschaften den dienstbaren Geistern der Gesellschaft wenig Zeit ließ, für sich selbst und die Seinen erstens anständig zu sorgen und zweitens dabei noch freie Zeit für eigene »Muße« zu erübrigen – vom Kirchgang, erzwungen mit der Androhung jenseitiger Scheußlichkeiten durch die klerikale Abteilung der »Müßiggänger«, einmal abgesehen. Und jede noch so elementare Weiterentwicklung der Produktivkräfte, die an sich eine Sorte Teilung der Lebenszeit in Arbeitszeit und freie Zeit für jedermann erlaubt hätte, bei der die Arbeit nicht das Leben auffrisst, sondern eine Zeit der Muße für alle ermöglicht, wäre unter den feudalen Verhältnissen ohnehin nur der herrschenden »Klasse der Müßiggänger« zu Gute gekommen. Weiterlesen
- Ob diese Bezeichnung von Henri de Saint-Simon eine korrekte Bestimmung oder nur eine Polemik darstellt, ist für mich erst einmal nicht von Interesse. Auf jeden Fall trifft sie einen, nämlich den angesprochenen Gesichtspunkt des parasitären Daseins dieser »Klasse«. ↩
Den Menschen als Subjekt in den Mittelpunkt aller Betrachtung stellen
Erwiderung zum Beitrag: „Widersprüchliche Freiheit – Überlegungen zur politischen Dynamik der Freilernerszene“ von Lothar Kittstein in „die freilerner“ 2016/2, Seite 17-20
Lieber Lothar Kittstein,
Ihr Beitrag in der letzten Ausgabe vom „Freilerner“ hat mich sehr angesprochen: Ich konnte darin vieles sehr genau beschrieben wiederfinden, das sich mit meinen persönlichen Erfahrungen im Bereich der Schulkritik, der ich mich als Philosoph seit etwa fünfzig Jahren intensiv widme, deckt und worüber ich auch schon hatte kritisch nachdenken können. Solchermaßen dankbar für die positive Anregung, möchte ich drei Punkte aufgreifen und erörtern:
- Wie steht es in Bezug auf Schulkritik mit der politischen Aktion (oder dem Aktionismus? oder der Agitation?)
- (Nur) Begriffliche Mißverständnisse?
- Perspektiven?
1. Das Anführen des Politischen ruft fast selbstverständlich nach der Frage der Führung, nach der einige der schulkritischen Menschen offensichtlich „gieren“. Unter den diversen Färbungen dieser Führung können wir, einer allzu billigen Pauschalierung entgegenwirkend, unterscheiden zwischen
- der politischen Führung, welche die Gefahr rechtskonservativer bis faschistoider Positionen birgt;
- der (pseudo?-)esoterisch daherkommenden Führung, welcher die Gefahr innewohnt, daß manche Menschen darin eine Zuflucht suchen; wie auch immer sie ihr Handeln somit begründen wollen, sind sie hierbei vor verschiedenen Abstrusitäten nicht gefeit; der ideologischen, religiös-missionarischen Führung, um den Nachwuchs zu den höheren Zielen der Eltern zu (ver-)führen.
- Der pädagogischen Führung in Gestalt einer „(schul-)pädagogischen Reform“; Schulkritik bewegt sich dann zwischen der Larmoyanz über das eigene erzieherische Schicksal und den Vorstellungen, durch welchen Reformversuch („Alternative“) dem Nachwuchs solches Schicksal erspart werden möge.
Nachdem mir pauschale politische, ideologische religiöse oder pädagogische Parolen immer schon suspekt oder unheimlich waren ob der Gefahr, lediglich in Sackgassen zu führen, halte ich mich von allen diesen Tendenzen fern. Deshalb interessiert mich weitaus weniger eine Position entlang der politischen Links-Rechts-Schemata als die Frage der Möglichkeit, hieraus auszubrechen und eine lebenslange Selbstentfaltung des Menschen zu ermöglichen und zu gewährleisten. Weiterlesen