Mathe mit Spaß?

»Und wie soll das mit Mathe gehen?«, diese Frage stellte ich mir besonders intensiv, nachdem unsere Söhne sich entschieden hatten, sich nicht mehr weiter in der Schule zu bilden. Meine Antwort darauf war teuer. Nachdem ich an einer freien Alternativschule unterrichtete und selbst Montessori-Materialien einfach toll fand, habe ich für die Beschäftigung mit Mathe damals 2000 DM für Materialien ausgegeben und zusätzlich noch einiges selbst hergestellt. Tja, das war auch so ein Bereich, in dem sich meine Erwartungen nicht mit denen meiner Söhne deckten. Im Laufe von fünf Jahren hat keiner unserer Söhne das Montessorimaterial auch nur angeschaut. M. meinte später dann auch dazu: »Das roch nach Lernen!« Und dazu wollten sie sich einfach nicht drängen lassen bzw. ihre ganz eigenen Wege finden.

Aus Elternsicht (noch mit einem halben Lehrerblick) betrachtet haben sich unsere Söhne nur selten mit Mathematik, vor allem im schulischen Sinne, beschäftigt. Mit Zahlen konnten sie umgehen, das war immer wieder deutlich spürbar. Aber wir Eltern haben immer nur die Spitze des Eisberges der Beschäftigung mitbekommen, was zumindest mir manches Mal ein flaues Gefühl im Magen verursacht hat. Als unser Jüngster sich dann auf die Hauptschulprüfung vorbereitet hat, wurde deutlich, dass dies auch reicht. Nachdem wir zu diesem Zeitpunkt schon seine drei älteren Geschwister bei der Vorbereitung auf Externenprüfungen (zweimal Hauptschulabschluss, einmal Abitur) unterstützt hatten, war uns bewusst, dass es nicht viel Zeit braucht, um sich die notwendigen Inhalte des Lehrplans für Mathe anzueignen. Aber J., der nur ein Jahr Regelschule mitgemacht hatte und danach sein Lernen selbst in der Hand hatte, hat uns dann doch verblüfft. Weder in seiner dreijährigen Zeit an einer freien Alternativschule noch in der Zeit ohne Schule hat er sich viel mit den Themen und Materialien des Fachs beschäftigt. Er hat sich zwar immer mal wieder gewünscht, dass wir ihm Aufgaben stellen, aber bis zur Prüfungsvorbereitung waren das immer Aufgaben im Bereich der Grundrechenarten. J. hat sich dann zur Vorbereitung mit seinem Mathelehrer-Papa innerhalb von drei Monaten immer mal wieder hingesetzt, um die notwendigen Aufgabengebiete zu erarbeiten. Da wurde dann klar, dass bei ihm schon ganz viel Wissen da war. Matthias meinte, dass J. ihm regelmäßig ins Wort fiel, um die angefangene Erklärung selbst zu tätigen. J. hatte auch kein Problem, sich mit den Fachinhalten an sich auseinander zu setzen. Bei den von uns bei Kern-Bildung betreuten Prüflingen bekomme ich oft mit, dass diese gerade in Mathematik durch negative schulische Erfahrungen starke Blockaden aufgebaut haben. Das macht die Vorbereitung auf die Prüfung dann nicht so einfach, geht es doch erstmal darum, diese Blockaden abzubauen, dieses »Ich kann das nicht!«, um die ganzen mit dem Fach verbundenen Abwertungen und schlechten Erfahrungen hinter sich zu lassen. Da geht es meistens nicht darum, dass jemand die Inhalte nicht verstehen kann, das ist höchst selten der Fall. Leider ist aber diese durch die schulischen Erfahrungen geprägte Überzeugung, es nicht zu können, immens stark.

Aber zurück zu unseren Söhnen. Wie sah denn die Beschäftigung mit Inhalten der Mathematik aus? Wie in allen anderen Bereichen auch, hieß es für uns Eltern, unseren Blick anders auszurichten, um zu sehen, in welchen Beschäftigungen denn überall Mathematik drin steckt.

Die Beschäftigung mit Zahlen fing bei unseren Töchtern und Söhnen schon lange vor der Einschulung an. Als sie noch ganz jung waren, haben wir immer wieder Fragen beantwortet, gezählt, zugeordnet und vieles andere gemacht, was ganz automatisch auch zu einer guten Grundlage für die Fachinhalte führte. Da unsere gesamte Familie gerne spielte, gab es natürlich immer auch Gesellschaftsspiele, die eine mathematische Komponente hatten wie z.B. Max Mümmelmann, 1000 km, Schweinerei, Kunterbunte Tierparade, Hol‘s der Geier, die helfen den Zahlenraum bis 100 zu erschließen und in die Grundrechenarten einführen. Sobald sie die ersten Grundlagen erfasst hatten, waren Spiele mit hohen Zahlen besonders interessant. J. konnte mit vier/fünf Jahren stundenlang Stich-Kartenspiele spielen, bei denen die Daten von Autos, Flugzeugen, Hubschraubern o.ä. miteinander verglichen wurden und die jeweils höhere Karte gewinnt. Das war der einzige Zeitpunkt, zu dem mein selbsterstelltes Montessorimaterial zum Einsatz kam. Die Zahlen oft im 1000er oder sogar 10000er Bereich haben wir dann durch das Legen der einzelnen Einheiten mit dem goldenen Perlenmaterial miteinander verglichen. Das war eine anschauliche Hilfe.

Später folgte dann eine Phase mit Monopoly und ähnlichen Spielen. Die Älteren hatten diese Phase schon vorher durchlaufen, spielten aber dennoch immer noch gerne mit. Da war ich dann froh, dass ich meistens nicht mehr mitspielen musste, hatte ich diese Phase doch zu einem ähnlichen Zeitpunkt in meinem Leben zusammen mit meinem Bruder durchgemacht. Wir spielten oft tagelang am Stück, aber jetzt fand ich diese Geldscheffelei nur noch langweilig. Eine Zeitlang waren auch verschiedene mathematische Logikrätsel interessant, bei denen versucht wurde, schneller als die anderen die Lösungen herauszufinden. Sobald das »P.M.-Logik-Rätsel«-Magazin neu am Kiosk zu haben war, saßen dann mehrere Familienmitglieder über diesen Rätseln.

Später, vor allem auch zu Zeiten, als sich dann alle unsere Söhne selbstbestimmt bildeten, waren Computerspiele in. Sim City, Roller Coaster Tycoon, u.ä. haben durch die Simulation, eine Stadt oder einen Vergnügungspark aufzubauen, noch weitere Zusammenhänge erschlossen.

In dieser Zeit hatten wir auch zwei oder drei Jahre hintereinander Jahreskarten für das Wissenschafts-Center »Technorama« in Winterthur in der Schweiz. Dort haben wir mit den praktischen Versuchsaufbauten für die verschiedensten naturwissenschaftlichen und mathematischen Phänomene ganze Tage verbracht. Wie schon gesagt, wir haben sicher nur die Spitze des Eisberges mitbekommen, was die Beschäftigung mit mathematischen Themen anging. Alle Söhne haben auch schon vor ihren Hauptschulprüfungen zum Teil mehrere Praktika bei Handwerkern gemacht und dort ihr Wissen anwenden können. Was sie nicht wussten, wurde ihnen dann erklärt. Verständnis war hier durch die Praxisbezüge schnell da und auch ebenso schnell umsetzbar. Es brauchte kein langes Üben verschiedener Zusammenhänge und Techniken. Das Montessorimaterial habe ich dann nach mehreren Jahren »Lagerung « in unserer Familie ohne Verluste wieder verkauft.

Ich weiß durch meine Betreuungsarbeit bei Clonlara, dass bei vielen Eltern Ängste in diesem Bereich auftauchen, wenn sich ihre Töchter und Söhne ähnlich selten mit diesem Thema beschäftigen wie unsere Söhne. Ich kann hier aber nur alle Eltern ermutigen, habt Vertrauen, mathematische Fähigkeiten entwickeln sich auch ohne dass ihr mit euren Töchtern und Söhnen Mathematiklehrgänge durcharbeitet.

Karen Kern

 

Nr_71
Der Artikel ist 2016 in Heft 71 – Mathematik erschienen.

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Karen Kern: Fremdsprachen lernen

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