Was wollen wir künftig?

Erschienen 2016 in Heft 70 – Was wollen wir künftig?.

Claudia:

Grundsätzlich bin ich nicht gewillt, mich einfach so damit zu arrangieren, was vorgegeben ist. Was nicht zwangsläufig bedeutet, daß ich alles verwerfe. Doch wird alles geprüft, ob es so für mich (noch) stimmt. Ständig. Nach dem zu urteilen, was die meisten Leute laufend von sich geben, sind sie alle unzufrieden damit, wie ihr Leben eingerichtet ist. Trotzdem machen sie weiterhin was vorgegeben ist. Viele Programme sind schon so lange verinnerlicht, daß es sich anfühlt, als seien es natürliche Gegebenheiten, die einfach zum Leben dazugehören. “So ist es eben”, oder “da kann man halt nichts machen” heißt es dann oft.

Und auf diese Weise geht ja erstmal wirklich nichts. Erst wenn wir uns trauen wieder einmal genau hinzuschauen, und uns den Fragen zu stellen, die unser Leben an uns stellt, ist es möglich, das zu bekommen, was wir wirklich wollen.

Dafür bin ich auch immer wieder bereit, mich meinen Ängsten zu stellen, und darüber den Mut zu finden, wirklich zu leben.

Nicht immer leicht und mühelos, doch immer öfter.

Und die Ergebnisse begeistern mich, beflügeln. Machen den Raum weiter, Boden tragfähiger, die Luft belebender, die mich umgibt.

Dieses Heft, »die Freilerner-Zeitschrift«, ist für mich in der Idee verwurzelt, daß wir durch offenes Kommunizieren unser Miteinander-So-Sein stärken können und dadurch Kräfte zur Verfügung zu haben um die Visionen eines »Guten Lebens« bewirken zu können.

Claudia Mutterer

ChristianeChristiane:

Wir sind mit dem Auto unterwegs. Mitten auf der Strecke kommt eine Geschwindigkeitsbegrenzung, dann eine rote Ampel – eine Fahrspur ist gesperrt, Forstarbeiter, ein riesiges Fahrzeug mit einem Greifarm. Ein mittelgroßer Baum zittert, der Greifarm schließt sich um seinen Stamm, eine Motorsäge kreischt. Der Baum wird in die Luft gehoben und auf die Böschung gelegt.

Zerstörung, Not, Krieg, Flucht, hierarchische Strukturen, Bürokratie und Tot sind allgegenwärtig und bedrohlich. Es scheint aussichtslos und zwangsläufig immer schlimmer zu werden. Ob wir nun böse Mächte, Orks oder die Logik des Systems als Ursache sehen ist unwesentlich. Wesentlich ist wohin wir wollen, wesentlich sind unsere Visionen und Taten.

Menschen sind verwirrt und verängstigt, suchen Schutz, Erklärungen, jemand der sie rettet und funktionieren gleichzeitig innerhalb vom System, sind Rädchen im bestehenden Getriebe, machen ihren Job.

Menschen könnten sich auch an anderem orientieren. An denen die sich trauen ihr eigenes Leben zu leben, an denen die sich trauen nicht nur »ihren Job« zu machen, sondern das was sie für richtig und wesentlich halten, an denen die zu sich selber stehen und Schritte zu einem anderen Miteinander, einer Kultur der gegenseitigen Unterstützung und der Achtsamkeit wagen.

Es geht nicht darum, nun etwas anderem hinterher zu laufen – dem scheinbar richtigen. Es geht darum, das eigene, das was wirklich für einen dran ist zu tun. Sich selber zu sein.

Aber was ist wirklich meins, was ist jetzt das was ich zu tun habe, aus innerer Notwendigkeit? Manchmal scheint es mir leicht zu fallen und ist eindeutig, fühle ich mich im Flow und bei mir selbst.

Oft empfinde ich es aber auch nicht so eindeutig, fühle mich eher getrieben von den äußeren Notwendigkeiten, spüre wie einen Schatten in oder neben mir, der mich hindert bei mir zu sein. Auch im Flow passiert mir der fliegende Wechsel vom bei mir sein zum hinterher rennen, dem was ich noch alles tun wollte oder könnte. Es fühlt sich dann an, als renne ich vor mir selber her.

Manchmal meine ich auch nur, dass etwas wirklich meins ist und merke es waren nur alte Gewohnheiten, vielleicht auch Glaubenssätze, weshalb ich tue, was ich tue, weshalb ich denke, was ich denke.

Schritte zu mir sind, für mich, genau hin zu schauen, mich selber zu beobachten und immer wieder Momente des Innehaltens. Manchmal mache ich einen Spaziergang zu einem vertrauten Platz in der Natur, zu einem befreundeten Baum.

Wichtig sind mir aber auch der Austausch mit anderen Menschen, sich gegenseitig zuhören, auch Rückmeldung bekommen was die andere wahr nimmt.

Und immer wider neues ausprobieren, spielen und tanzen. Was passiert, wenn ich was anders mache? Paßt es zu mir? Verwerfe ich es wieder? Manchmal habe ich Angst dabei zu Fallen, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Um wirklich Neues zu erlangen ist aber manchmal genau dieser Sprung notwendig.

Mit der Freilerner Zeitschrift möchte ich den Austausch untereinander unterstützen. Die Zeitschrift soll inspirieren, berichten was Menschen tun und wie es ihnen damit geht, Erfahrungen weiter geben. Sie soll aber auch zum Nachdenken anregen, Fragen stellen und aufzeigen, dass die Antworten vielfältig und offen sind. Sie soll Mut machen, selber Fragen zu stellen, manches in Frage zu stellen und den eigenen Weg zu gehen.

Christiane Ludwig-Wolf

ImmanuelImmanuel:

Es gibt immer mehr Menschen, die mit dem selbstbestimmten Lernen Erfahrungen gemacht haben. Die erlebt haben und erleben, dass es zum Lernen keinen Druck und Zwang braucht, sondern vor allem eine inspirierende Umgebung und wertschätzende Menschen. Es gibt eine wachsende Zahl an freien aktiven Schulen, an demokratischen Schulen und auch an Menschen, die ganz ohne schulischen Rahmen aufwachsen. Mit dazu gehören auch Eltern, die sich vielleicht manchmal Sorgen machen, ob ihre Kinder auch genug lernen und die es mehr oder weniger gut schaffen, ihre Ängste bei sich zu lassen. Es ist ein Ausprobieren und Erfahrungen sammeln, ein Experimentieren mit Strukturen und vor allem auch ein Prozess des Loslassens. Weg von der Kontrolle und hin zur Begleitung. Auch an den staatlichen Schulen finden viele winzige und kleine Schritte statt. Es ist ein wachsendes Erfahrungsfeld und eine Entwicklung mit großer Eigendynamik.

Der respektvolle Umgang mit jungen Menschen ist ein Ausgangspunkt von vielen, bei dem wir immer wieder mit der Frage konfrontiert werden, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Wenn junge Menschen als Subjekte behandelt werden, die ihre Entscheidungen selbst treffen und über die nicht einfach von anderen verfügt wird, dann werden sie sich seltener an den für Kinder vorgesehenen Orten aufhalten. Junge Menschen, die einfach mit dabei sein wollen und für die oft eigentlich kein Raum ist. Schon Kinder, die an öffentlichen Plätzen, auf der Straße oder in Zügen spielen und Lärm machen, sind für viele ältere Menschen herausfordernd und vor allem störend. Doch ich träume von einer Gesellschaft, in der junge Menschen einfach mit zur Arbeit ihrer Eltern kommen können und dass dort genug Freiräume sind, so dass auch Lärm, Gewusel und Unterbrechungen durch Kinder mit dazu passen und mit getragen werden. Viele Grenzen, an die wir hier stoßen sind eigentlich Konventionen, Gewohnheiten und oft auch kapitalistische Sachzwänge.

Mit der Freilernerzeitschrift geht es mir um Ermutigung und Inspiration. Dass wir immer wieder von Menschen lesen, die in eine ähnliche Richtung denken und träumen. Die kleinen und großen Schritte und Erfahrungen, die Projekte und das Ausprobieren. Doch geht es mir auch darum, dass wir uns immer wieder darüber austauschen, wo wir eigentlich hin wollen, was unsere Ziele sind. Wir brauchen die Radikalität, die klare Ausrichtung zum Recht sich frei zu bilden und damit den grundsätzlichen Widerspruch zur Idee der Schulpflicht. Und wir brauchen zugleich die konkreten kleinen Schritte in diese Richtung. Es ist wichtig, dass uns dabei stets bewusst bleibt und es auch nach außen hin deutlich wird, dass diese Schritte nur Zwischenziele sind, selbst wenn es noch so viel Kraft braucht diese Schritte zu gehen.

In diesem Sinne kann ich Bestrebungen zur Legalisierung von schulfreien Bildungsformen auch dann noch als unterstützenswert ansehen, wenn sie sehr enge staatliche Vorgaben und Kontrollen vorsehen, die nicht zum Freilernen passen, sondern auf den häuslichen Unterricht ausgerichtet sind.

Wir als Freilerner*innen müssten weiterhin den Weg des zivilen Ungehorsames gehen und hätten es unter Umständen schwieriger zu vermitteln, wieso wir auch Prüfungen ablehnen. Für manche junge Menschen würde ein ‘Elternrecht’ auf Homeschooling auch eine Einschränkung ihrer Freiheiten bedeuten.

Doch für viele andere junge Menschen würden sich mit solch einer Legalisierung neue Möglichkeiten auftun. Auseinandersetzungen mit Behörden und Gerichten trauen sich viele junge Menschen nicht nur nicht zu, sondern sie bekommen dabei auch kein Verständnis und keine Unterstützung von ihren Eltern. Wenn junge Menschen ihre Eltern gegen sich haben, sind sie ganz praktisch in einer Situation, in der ziviler Ungehorsam nicht oder nur sehr schwer möglich ist und der von allerlei pädagogischen Maßnahmen bis hin zur Psychiatrisierung sehr krasse Folgen haben kann. Für viele junge Menschen wäre die Befreiung von der Schule auch mit vorgegebenem Lehrplan noch ein toller Ausweg aus ihrer aktuellen Situation. Projekte wie Methodos, bei denen sich Menschen zusammen selbstorganisiert auf einen Schulabschluss vorbereiten, würden schon im schulpflichtigen Alter möglich werden. Auch für Schulverweigerungsprojekte könnten die Freiräume größer werden und wir als Freilerner*innen könnten versuchen, mit Konzepten, die an die der freien aktiven Schulen anknüpfen, für den ‘häuslichen Unterricht’ eine Anerkennung zu bekommen und uns gegebenenfalls durch die Instanzen klagen.

Es geht mir auch hier um ein wachsendes Erfahrungsfeld, um so Schritt für Schritt zu einem regelrechten Dammbruch zu kommen. Hin zur Befreiung auch der jungen Menschen und hin zur befreiten Gesellschaft. Die Überwindung von Kapitalismus, Nationalismus und anderen Formen der Ausgrenzung ist vor allem auch eine Frage der Strukturen, in denen wir uns bewegen, denken und handeln. In der Freilernerzeitschrift will ich weiterhin viele verschiedene subjektive Artikel dazu haben. Eine Vielfalt an Perspektiven, die sich erst durch ihre Widersprüchlichkeit der Komplexität des Lebens annähern können.

Immanuel Wolf

Weiterführende Verlinkungen

  • Bundesverband der Freien Alternativschulen e.V. (BFAS )
    Der Bundesverband der Freien Alternativschulen e.V. (BFAS ) ist ein Zusammenschluss von ca. 100 Freien Alternativschulen und Gründungsinitiativen in Deutschland, deren Basis selbstbestimmtes Lernen, demokratische Mitbestimmung und gegenseitiger Respekt ist. Der Verband berät Schulprojekte in der Gründungsphase, unterstützt sie im laufenden Betrieb, fördert den Austausch der Schulen untereinander und engagiert sich in der bundespolitischen Bildungsdebatte.
    www.freie-alternativschulen.de
  •  European Democratic Education Community (EUDEC)
    Die European Democratic Education Community (Europäische Gemeinschaft für Demokratische Bildung) ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für demokratische Bildung als ein sinnvolles Modell für demokratische Gesellschaften einsetzt. Zu den Mitgliedern der EUDEC gehören sowohl Einzelpersonen als auch Schulen und andere Institutionen aus ganz Europa mit jahrzehntelanger Erfahrung in demokratischer Bildung.
    www.eudec.org/de
  • Schulfrei-Community
    Ob ihr gerade erst in das Abenteuer Freilernen aufbrecht oder schon auf viele Jahre Erfahrung zurückblickt… dies ist der richtige Ort für euch, um teilzuhaben: trefft Freilerner aus verschiedenen Ländern, lernt Familien und Kulturen kennen, arrangiert einen Besuch, „Schüler-„(Freilerner-)Austausch oder Haustausch, sucht nach einem freilernenden Au Pair oder einem Praktikumsplatz für euren Teenager, oder findet einfach die Freilerner in eurer Nähe, von denen ihr bisher überhaupt nichts wusstet.
    www.schulfrei-community.de
  • methodos e. V.
    methodos – das sind junge Menschen, die ihr Lernen selbst in die Hand genommen haben. Seit 2007 findet sich in Freiburg alljährlich neu eine solche Gruppe, um sich in Eigenregie selbstverantwortlich auf das Schulfremdenabitur vorzubereiten.
    www.methodos-ev.org
  • Entwurf eines freiheitlich-demokratischen Bildungssystems
    Eine freiheitlich-demokratische, also eine auf den Prinzipien von Selbstbestimmung und Mitbestimmung aufbauende Gesellschaft muß logischerweise auch ihr Bildungssystem auf diese Grundlage stellen. Kinder und Jugendliche müssen folglich im Rahmen des organisatorisch Möglichen selbstbestimmt entscheiden dürfen, was sie lernen und wo, wann, wie und von wem sie es lernen.Das derzeitige Schulsystem wird diesem freiheitlich-demokratischen Anspruch nicht gerecht.
    www.kraetzae.de/schule/lernen_in_freiheit
  • Freilerner-Solidargemeinschaft e.V.
    Zweck des Vereins ist die moralische, politische, organisatorische, juristische, finanzielle und sonstige Unterstützung von jungen Menschen und ihren Familien, die aufgrund der Wahl ihrer Bildungsform oder wegen ihres Widerstandes gegen eine fremdbestimmte, z.B. staatlich vorgeschriebene Bildungsform unter Druck gesetzt werden oder Repressionen, Strafen oder sonstigen Sanktionen ausgesetzt sind.
    www.freilerner-solidargemeinschaft.de