Muße im Kapitalismus
Muße, oder: Über die Unterordnung des erlaubten Materialismus unter kapitalistische Notwendigkeiten
Es gab eine Zeit, in der Adel und Klerus als »Klasse der Müßiggänger« 1 bezeichnet wurden. Zu tun und zu lassen, was einem beliebt und sich ganz frei von Notwendigkeiten allein privaten Neigungen, Wünschen und Genüssen hinzugeben, kurz: seinen Materialismus zu leben, so etwas wird nur dann zum Etikett einer ganzen »Klasse«, wenn in der Gesellschaft andere »Klassen« dazu genötigt sind, nicht nur für den eigenen Lebensunterhalt, sondern zugleich noch für den der »Müßiggänger« zu sorgen. Dabei versteht es sich von selbst – die Rede ist ja vom Feudalismus -, dass die Sorge für das leibliche Wohl und für alle materiellen Voraussetzungen sonstiger mehr oder weniger blöder Neigungen der hohen Herrschaften den dienstbaren Geistern der Gesellschaft wenig Zeit ließ, für sich selbst und die Seinen erstens anständig zu sorgen und zweitens dabei noch freie Zeit für eigene »Muße« zu erübrigen – vom Kirchgang, erzwungen mit der Androhung jenseitiger Scheußlichkeiten durch die klerikale Abteilung der »Müßiggänger«, einmal abgesehen. Und jede noch so elementare Weiterentwicklung der Produktivkräfte, die an sich eine Sorte Teilung der Lebenszeit in Arbeitszeit und freie Zeit für jedermann erlaubt hätte, bei der die Arbeit nicht das Leben auffrisst, sondern eine Zeit der Muße für alle ermöglicht, wäre unter den feudalen Verhältnissen ohnehin nur der herrschenden »Klasse der Müßiggänger« zu Gute gekommen. Weiterlesen
- Ob diese Bezeichnung von Henri de Saint-Simon eine korrekte Bestimmung oder nur eine Polemik darstellt, ist für mich erst einmal nicht von Interesse. Auf jeden Fall trifft sie einen, nämlich den angesprochenen Gesichtspunkt des parasitären Daseins dieser »Klasse«. ↩