Die Freilernerzeitschrift gibt es schon seit über 20 Jahren. Sie ist als Plattform für Familien, Initiativen und Vereine, die sich mit selbstbestimmten und selbstorganisierten Bildungsformen beschäftigen, entstanden. Es sind viele Familien dabei, die die Schulpflicht verweigern oder im Ausland schulfrei leben, sowie auch freie aktive und demokratische Schulen und junge Erwachsene, die sich alternative Bildungsprojekte organisieren. Wir bieten Raum für eine breite Vielfalt und stehen für Pluralität, Offenheit und Toleranz, doch wir stellen uns deutlich gegen jegliche diskriminierende, gewaltverherrlichende und nationalistische Ansätze und Ideologien.
Die Zeitschrift erscheint vier Mal im Jahr als gedruckte Ausgabe und ist auch digital als PDF erhältlich. Wer unsere Arbeit unterstützen möchte, kann dies mit einem Förderabonnement tun. Auch gibt es die Möglichkeit, in der Zeitschrift Kleinanzeigen und Werbeanzeigen zu schalten.
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Artikel lesen:
Zur Kritik der Bildungsfreiheit
Die im Sommer 2016 hier eröffnete Diskussion zur »politischen Dynamik der Freilernerszene« hat im November dankenswerterweise Bertrand Stern mit einem Text fortgeführt, der dazu aufruft, »den Menschen als Subjekt in den Mittelpunkt« zu stellen. Dazu gehört die griffige Forderung, jenseits aller ideologischen Fesseln individuell »frei sich zu bilden« – eine Formel, die seit einiger Zeit in schulkritischen Zusammenhängen immer breiteren Widerhall findet. Ich nehme das gerne auf, weil es zum Kern der Frage nach der politisch-philosophischen Substanz des Freilernens führt. Hier soll daher erneut und in kritischer Absicht die Frage nach der Freiheit gestellt werden, die, wie sich zeigen wird, untrennbar mit der Frage nach dem Bildungsbegriff verbunden ist. »Kritik« ist dabei nicht, wie der Alltagsgebrauch des Worts es nahelegt, die Kritik an etwas, denn in den Forderungen nach einer Abschaffung der Schulpflicht in ihrer jetzigen Form dürften wir uns weitgehend einig sein. Vielmehr ist Kritik hier im Kantischen Sinne der Versuch, Grenzen und Leistungsfähigkeit eines Begriffs genauer zu bestimmen und ihn so für die Verwendung erst eigentlich brauchbar zu machen.
Text: Lothar Kittstein
Freiheit und Bildung?
»Freiheit«, »frei sein«, das dürften die beliebtesten Vokabeln in den immer zahlreicher werdenden Freilernerblogs, Freilerner-Gruppen und Freilerner- Videos im Internet sein. »Freie Kinder« will man haben, »frei« sollen dazu – oder dadurch – auch die Eltern werden, oft ist von der »Freiheit« der Familien die Rede, und ein neueres YouTube-Video verwendet im Titel den Begriff gleich mehrfach wie in einer mathematischen Gleichung, die die tröstliche Gewissheit bietet: »Freilerner und freie Kinder ergibt freie Bildung«.
So neu der Begriff des Freilernens ist, er steht als Wortschöpfung doch in einer langen sprachlichen Tradition, die politisch zwischen links und rechts, fortschrittlich und reaktionär zunächst ganz unbestimmt ist. Das zeigen bereits so unterschiedliche Begriffe wie »Freikörperkultur« (FKK) und die paramilitärischen »Freikorps« der frühen Weimarer Republik. Freie Schulen, das ist bekannt, sind nichts weniger als frei, was die schulgesetzlichen Bestimmungen der Länder angeht. »Freie« Wählergemeinschaften, die in vielen deutschen Kommunen seit den 70er Jahren entstanden sind, sollten oft ein linksalternatives Gegengewicht zu den etablierten Parteien darstellen, verfolgen aber in den meisten Fällen heute ein wirtschaftsliberales, teils rechtspopulistisches Programm. Dass die »Freie Deutsche Jugend« der DDR eine staatliche Zwangsveranstaltung war, ist bekannt. Die »Republik freies Deutschland« ist ein aktuelles Beispiel dafür, dass Reichsbürger mit Verbindungen ins rechtsextreme Spektrum das Adjektiv ebenfalls gerne verwenden. Und um das kürzlich hier besprochene Thema der Muße aufzugreifen: Im scheinbar harmlosen Terminus der »Freizeit« kristallisiert sich die höchst ambivalente Verfasstheit der kapitalistischen Gesellschaft, in der die »freie« Zeit in Wahrheit nichts weniger als frei ist, denn sie ist definiert als die Erholungspause zwischen den Phasen der zum Lebensunterhalt notwendigen Lohnarbeit. Ohne Arbeitszwang keine Freizeit. Weiterlesen
Der Prozess
Franz Kafka hat ihn eindrücklich beschrieben: Den Prozess, dem sich Herr K. stellen muss, aber gar nicht stellen kann, weil er die Regeln und Abläufe gar nicht kennt. Die Lektüre von Kafka könnte nun zu der Ansicht verführen, dass Herr K. die Regeln gar nicht kennen und nutzen kann, weil es in diesem Prozess keine Regeln gäbe. Aber selbst Willkür folgt gewissen Regeln. Gib niemals die Regel preis, nach der du gerade spielst. Mein Onkel hat auf diese Weise jedes Menschärgere- dich-nicht-Spiel gewonnen. »Natürlich kann man rückwärts schlagen, so spiel ich das immer« und kurz darauf »Nein, du darfst nicht rückwärts schlagen, nicht mit der 5«
Grundvoraussetzung für ein solches Willkürregime ist, dass einige Wenige oben und die anderen unten sind. Früher war das mal gottgegeben und bis in die heutige Zeit halten es viele für ein Naturgesetz. Dass es in Monarchien und Diktaturen solche Hierarchien gibt, hat meines Erachtens aber nichts mit Naturgesetzen zu tun, sondern mit Menschengemachtem. Es handelt sich hier eher um Logik. Wer herrschen will, muss andere unterdrücken, also nach unten drücken. (Was würde entstehen, wenn ein Diktator die Menschen nicht nach unten, sondern nach oben drücken würde? Einen Preis auf die Antwort setze ich nicht aus, ich weiß die Antwort selber noch nicht. )
Bei der Demokratie wiederum gibt es einen krassen Widerspruch zwischen Idealtheorie und Praxis. Das Ideal geht von einer Gesellschaft von Gleichen aus, die unter ihresgleichen einige für begrenzte Zeit auswählen, um die wichtigen Entscheidungen zu treffen. In der Repräsentativen Demokratie (manche nennen sie auch »Realexistierende Demokratie«) wählen wir aber nicht Leute aus unserer Mitte, sondern nur solche, die sich in einer Partei – nun, was? – Ja! – hoch gearbeitet haben. Auf den Arbeitsbegriff will ich an dieser Stelle nicht eingehen und annehmen, dass auch die Schnecke am Ende der Schleimspur etwas gearbeitet hat. Also halten wir fest: Auch die realexistierende Demokratie kennt das Oben und Unten; und zwar nur bezogen auf Volk und Regierung/Parlament. Die Hierarchien durchziehen das ganze öffentliche (und private) Leben. Beamte sind höher gestellt, Richter sowieso. Und alle scheinen ein Interesse daran zu haben, diese Hierarchien aufrecht zu erhalten. Weiterlesen
Daheim auf dem Land und im Internet
Ich, Malchus Kern, bin ganz im Süden Deutschlands auf dem Land aufgewachsen. Neben Milchkühen und Streuobstwiesen, auf denen sogar einmal Werbung für Apfelsaft aus Norddeutschland gedreht wurde. Meine Nachbarn waren Bauern, viele meiner Schulkameraden wuchsen »auf dem Hof« auf.
In meiner Kindheit war es ein allabendliches Ritual, die paar Meter über die Wiese zu laufen und die noch warme Milch in Milchkannen abzuholen. Für mich war das eine schöne Zeit, voller wilder Abenteuer im Wald und dem Sammeln von Hühnereiern im Stall. Auch hatte ich schon in jungen Jahren meinen kleinen eigenen Garten, zog Erbsen heran und pflanzte Kürbisse auf dem Komposthaufen. Und jedes Jahr im Herbst machten wir ein paar Liter Apfelsaft, aus den Äpfeln vom Nachbarn.
Den Hof meiner Kindheit gibt es so nicht mehr, schon damals wurde er nur noch im Nebenerwerb betrieben – denn mit 30 Kühen kann man kein Geld verdienen. Heute werden die Äpfel zwar immer noch verarbeitet, die Wiesen aber sind an andere Landwirte verpachtet. Ein paar Kühe stehen noch auf den Wiesen, aber mehr als Hobby und der Gewohnheit wegen, nicht weil sie einen Ertrag bringen würden.
Doch die Art des Lebens nah an der Natur, im Rhythmus mit den Jahreszeiten, zusammen mit Tieren und zu wissen, wo die eigenen Lebensmitteln herkommen und sie dadurch mehr schätzen zu können, das hat mich schon immer fasziniert. Weiterlesen
Gibt es den perfekten Lernort?
Vor kurzem habe ich eine deutsche Reisende kennengelernt, mit der sich ein sehr angeregtes Gespräch über das natürliche und selbstbestimmte Lernen ergeben hat. Sie arbeitet momentan als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache in einer Willkommens-Klasse an einer Schule in Deutschland; sie kennt die negativen Seiten des Systems und ist individuellem Lernen gegenüber sehr aufgeschlossen. In diesem Gespräch sagte sie etwas, das mich nachdenklich machte – sie sagte: »Ich glaube hier, so mitten in der Natur, gibt es die besten Voraussetzungen für das Freilernen, in der grauen Stadt gibt es viel weniger zu entdecken und zu lernen im Alltagsleben.«
Mich erstaunte diese Aussage ziemlich, vor allem, weil es mitten in einer Phase war, in der mir unsere Umgebung extrem eintönig und langweilig vorkam und ich mir sehnlichst mehr Möglichkeiten für unsere Kinder wünschte.
An dieser Stelle sollte ich wahrscheinlich erst einmal beschreiben wo wir wohnen: Wir leben seit ca. 3 Jahren auf der Insel Bastimentos im Archipelago Bocas del Toro, vor der westlichen Karibikküste Panamas gelegen. Hier ist die Heimat meines Mannes und nach einigen gemeinsamen Jahren in Deutschland haben wir uns entschlossen hierher (zurück) zu ziehen. Die Insel ist zum allergrößten Teil tropisch dicht bewachsen und es gibt nur ein Dorf, ein paar weitere kleine Häuseransammlungen und keine Autos. Die Hauptinsel ist ca. 10 Minuten mit dem Boot entfernt, dort ist die Infrastruktur von Tourismus geprägt und es gibt hauptsächlich Gästehäuser, Hotels und Restaurants sowie Supermärkte und ein paar wenige Warengeschäfte. In dem Dorf, in dem wir leben, gibt es neben den hölzernen Wohnhäusern noch ein paar Gästehäuser, einfache Restaurants und drei kleine Lebensmittelläden. Wir als Familie betreiben eine kleine Saftbar und Surfbrettverleih und vermieten ein Privatzimmer in unserem Haus sowie ein Ferienhaus. Der Rest der Umgebung ist pure Natur: es gibt wunderschöne Strände, türkisblaues Meer, Dschungel und spannende Tiere. Manchmal gibt es auch tagelang Regen, matschige Trampelpfade, heftige Gewitterstürme, viele Mücken und andere Stech- und Krabbeltierchen – Natur in all ihren Facetten :-). Weiterlesen
Freilernen in Potsdam und Berlin
Was den Wohnort angeht, bin ich immer wieder hin- und hergerissen zwischen dem Leben in der Natur und dem Leben in der Stadt. Ich sehe bei beidem die Vorteile und möchte gerne das Beste aus beiden Welten zusammenbringen. Wir leben aktuell in der Stadt und ich habe fast mein gesamtes Leben in der Stadt verbracht. Aber nach einem Jahr, in dem ich mitten in der Natur gelebt habe, kenne ich auch die schönen Seiten des Lebens auf dem Land.
In der Stadt, und vor allem einer Großstadt, sehe ich viele Vorteile. Zum Beispiel, dass man gerade als alternativ lebender Mensch gut Anschluss finden kann an Gleichgesinnte. Ich höre oft von alternativ eingestellten Menschen, die in kleinen Städten oder auf dem Land leben, dass sie beäugt werden von den häufig konservativ eingestellten Mitmenschen. Oder, dass »selbst wenn« ein respektvoller Umgang herrscht, dennoch der Anschluss fehlt an Gleichgesinnte, mit denen man ganz entspannt reden kann, z. B. über das Freilernen – ohne ausgiebig erklären zu müssen, warum man kritisch gegenüber der Schule eingestellt ist oder warum Vorurteile gegenüber dem Freilernen nun einmal nichts anderes als Vorurteile sind. Weiterlesen
Mathe mit Spaß?
»Und wie soll das mit Mathe gehen?«, diese Frage stellte ich mir besonders intensiv, nachdem unsere Söhne sich entschieden hatten, sich nicht mehr weiter in der Schule zu bilden. Meine Antwort darauf war teuer. Nachdem ich an einer freien Alternativschule unterrichtete und selbst Montessori-Materialien einfach toll fand, habe ich für die Beschäftigung mit Mathe damals 2000 DM für Materialien ausgegeben und zusätzlich noch einiges selbst hergestellt. Tja, das war auch so ein Bereich, in dem sich meine Erwartungen nicht mit denen meiner Söhne deckten. Im Laufe von fünf Jahren hat keiner unserer Söhne das Montessorimaterial auch nur angeschaut. M. meinte später dann auch dazu: »Das roch nach Lernen!« Und dazu wollten sie sich einfach nicht drängen lassen bzw. ihre ganz eigenen Wege finden. Weiterlesen