Daheim auf dem Land und im Internet

Ich, Malchus Kern, bin ganz im Süden Deutschlands auf dem Land aufgewachsen. Neben Milchkühen und Streuobstwiesen, auf denen sogar einmal Werbung für Apfelsaft aus Norddeutschland gedreht wurde. Meine Nachbarn waren Bauern, viele meiner Schulkameraden wuchsen »auf dem Hof« auf.

In meiner Kindheit war es ein allabendliches Ritual, die paar Meter über die Wiese zu laufen und die noch warme Milch in Milchkannen abzuholen. Für mich war das eine schöne Zeit, voller wilder Abenteuer im Wald und dem Sammeln von Hühnereiern im Stall. Auch hatte ich schon in jungen Jahren meinen kleinen eigenen Garten, zog Erbsen heran und pflanzte Kürbisse auf dem Komposthaufen. Und jedes Jahr im Herbst machten wir ein paar Liter Apfelsaft, aus den Äpfeln vom Nachbarn.

Den Hof meiner Kindheit gibt es so nicht mehr, schon damals wurde er nur noch im Nebenerwerb betrieben – denn mit 30 Kühen kann man kein Geld verdienen. Heute werden die Äpfel zwar immer noch verarbeitet, die Wiesen aber sind an andere Landwirte verpachtet. Ein paar Kühe stehen noch auf den Wiesen, aber mehr als Hobby und der Gewohnheit wegen, nicht weil sie einen Ertrag bringen würden.

Doch die Art des Lebens nah an der Natur, im Rhythmus mit den Jahreszeiten, zusammen mit Tieren und zu wissen, wo die eigenen Lebensmitteln herkommen und sie dadurch mehr schätzen zu können, das hat mich schon immer fasziniert.

Der erste eigene Garten

Nachdem ich mit 18 meinen ersten »richtigen« eigenen Garten hatte, fing ich an, mich intensiv mit dem Anbau von Pflanzen zu beschäftigen. Ich stand nämlich vor einem Problem: Mein »Garten« bestand fast nur aus Steinen, organische Masse war wahrlich in der Unterzahl. Umgraben war unmöglich. Selbst mit dem Pickel kam ich nicht weit. Ich suchte also nach anderen Lösungen und dachte mir: Wie haben die Menschen das wohl nur in all diesen unwirtlichen Gegenden auf der Welt gemacht, irgendwie müssen sie ja Landwirtschaft betrieben haben? Wie also funktioniert Landwirtschaft, wenn das aktuell präsente Wissen uns nicht mehr weiterführt?

Nach acht Jahren, die seitdem vergangen sind, treibt mich diese Frage immer noch um. Es haben sich aber noch viele weitere Fragen dazu gesellt. Was, wenn das Erdöl knapp wird und wir unsere Felder nicht mehr so günstig bestellen können?

Wie hoch wären die Preise für Lebensmittel, wenn wir den wahren Preis zahlen würden – und nicht den, der durch Subventionen, Förder- und Ausgleichszahlungen zustande kommt? Und was hätte mein Nachbar damals anders machen müssen, damit sein Hof heute noch existieren könnte?

Alternativen in der Landwirtschaft

Ich beschäftigte mich mit Alternativen und fand spannende Landwirte wie Joel Salatin mit seinen mobilen Hühnerställen, einer Vermarktung über solidarische Landwirtschaft und einer eigenen Schlachtung. Oder den umstrittenen Sepp Holzer, der mit seinen Kursen und besonderen Anbaumethoden immer wieder in den Medien ist. Von Tomatenbauern, deren 45 € teure Führungen schon Monate im voraus ausgebucht sind. Und ehemaligen Bank-Direktoren als Quereinsteigern in der Landwirtschaft. Und das sind nur einige spannende Beispiele, die ich entdeckte. Es gibt noch so viel mehr – und so viel zu erfahren.

Digitale Heimat

Ich bin mit der Nutzung des Internets als Informations- und Kommunikationsmittel aufgewachsen. Für mich sind diese beiden Welten – das Sein in der Natur und das Sein am Computer – nicht getrennt. E-Mail, Facebook, Chatten und auch Computerspiele sind Teil meines Alltags. Der Computer erlaubt mir, von fast jedem Ort aus zu arbeiten. Er ermöglicht mir zu reisen, er würde mir ermöglichen, jeden Tag an einem anderen Ort zu sein und dennoch meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Innerlich fühle ich mich als digitaler Nomade. Dennoch finde ich es immer noch am schönsten, jeden Tag am gleichen Fleck zu sitzen und zu beobachten, wie nicht nur ich mich verändere, sondern auch meine Umwelt. Am gleichen Ort die Vögel in den Obstbäumen zu sehen, die Fische im Teich zu beobachten, im Herbst mein Obst zu ernten und im Winter sehnsüchtig auf die ersten frischen Salate zu warten. Ein Ort, der naturnah liegt, jedoch viele Möglichkeiten bietet und den Kontakt zu vielen Menschen. Auf dem Land und dennoch mittendrin, was gerade für mich als Freilerner, der nicht jeden Tag Menschen in einem Klassenzimmer sah, wichtig war. Und natürlich auch heute noch ist.

Das Aufwachsen als Freilerner gab mir die Freiheit, mich auszuprobieren, die Freiheit, keinen vorgefestigten Weg einschlagen zu müssen. Ich habe Eltern, die keinen Druck ausübten oder »Na, wenn dir Pflanzen gefallen, dann mach doch eine Ausbildung zum Gemüsegärtner « sagten. Das Gefühl, meinen Interessen folgen zu dürfen, mich spielerisch ausprobieren zu können, auch jetzt, mit 26 Jahren, macht mich glücklich. Das Aufwachsen auf dem Land, mit so wenig Eingrenzung, hat mir erlaubt, mich immer wieder tief in die Themen zu stürzen und mich sie auskosten lassen. Immer wieder auf’s Neue, denn das Ziel war nicht vorgegeben. Es war das Sein, was zählte. Aus diesem Ausprobieren hat sich vieles entwickeln können.

Weiterhin begleiten mich die Fragen, wie eine wirklich nachhaltige Produktion von Lebensmitteln aussehen kann und wie meine Kinder in einer Landschaft aufwachsen werden können, die mich seit meiner Kindheit fasziniert. Ich möchte, dass sie, wie ich, die Möglichkeit haben werden, Staudämme im Wald zu bauen, sich beim Baumhaus bauen im Handwerk ausprobieren können und die eigenen Erbsen im Garten zu ziehen. Das Hinwirken darauf, dass auch meine Kinder später einmal eine solche Landschaft vorfinden werden, habe ich heute zu meinem Beruf gemacht.

Ich möchte jedoch nicht jammern und protestieren gegen jene, die diese Umwelt immer mehr zerstören. Ich glaube an positive Vorbilder und daran, dass man am meisten durch aktives Tun erreicht und nicht durch das Verhindern von negativem. Deshalb setze ich mich für eine kleinstrukturierte Landwirtschaft ein und für Unternehmen, die nachhaltige Lebensmittel produzieren. In meinem Ausprobieren habe ich aber auch gemerkt, dass es nicht meine Aufgabe ist, die täglichen Lebensmittel selbst zu produzieren, sondern die Menschen zu unterstützen, die unser Getreide anbauen, ernten, verarbeiten, die unser täglich Brot backen und verkaufen.

Auf www.yes-we-can.farm schreibe ich über nachhaltige, innovative und zukunftsweisende Landwirtschaft. Dabei biete ich Landwirten Unterstützung bei der Vermarktung ihrer Produkte an, insbesondere über das Internet. Über www.bio-gewinnt.de und www.facebook.com/biogewinnt verhelfe ich den Herstellern von biologisch und nachhaltig erzeugten Lebensmitteln zu mehr Reichweite.

Malchus Kern

Der Artikel ist 2016 in Heft 72 – Stadt-Land-Fluß – Lebensorte erschienen.