Freilerner-Kompass: Orientierungshilfe für frisch Interessierte

Die Internetseite www.freilerner-kompass.de ist an den Start gegangen.

Text: Stefanie Weisgerber

Seit 2014 wird mein Leben durch ein Thema entscheidend mitbestimmt. Ich habe von der Möglichkeit erfahren, dass sich junge Menschen in Deutschland abseits von Schule bilden können, und seither ist dieses Wissen für mich zu einer enormen Triebfeder geworden. Ich selbst bin Mutter von zwei noch nicht schulpflichtigen Kindern und für mich steht es völlig außer Frage, dass sie selbst die Wahl haben sollen, wie und wo sie sich bilden möchten.

Zunächst begann ich damit Literatur zu wälzen. Ein Buch nach dem anderen wurde verschlungen. Jedes erweiterte meinen Horizont, brachte neue Aspekte hinzu, differenzierte meine Ansichten. Ich infizierte meinen Mann, der mich zunächst für total verrückt hielt, sich dann langsam zu interessieren begann und schließlich selbst mit jedem weiteren Buch überzeugter wurde. Dann besuchten wir Vorträge, nahmen an Freilerner-Treffen teil, vernetzten uns, tauschten uns aus. Wir entwickelten erste Strategien für unseren eigenen Weg hin zu einem möglichen schulfreien Leben und informierten schließlich unser nahes Umfeld darüber, dass unsere Kinder später eventuell nicht die Schule besuchen werden.

Drei Jahre sind seither vergangen und es scheint mir inzwischen schon fast abstrus, dass es für uns noch immer zwei Jahre dauern wird, bis unsere Tochter – unsere Erstgeborene – schulpflichtig sein wird und wir all das angesammelte Wissen praktisch anwenden können. Dabei fühle ich mich in der Freilerner-Bewegung inzwischen richtig zu Hause. Ich habe Expertise aufgebaut, engagiere mich in Vereinen, organisiere Treffen – da lag es nicht fern, meine Aktivitäten bereits heute weiter auszudehnen und nach außen zu tragen.

Erste Orientierung für junge Menschen und deren Familie

So ist der Freilerner-Kompass entstanden. Eine Info-Website, auf der ausführlich all jene Schritte beschrieben werden, die wir selbst in den letzten drei Jahren gegangen sind, um uns im Themenkomplex der selbstbestimmten und selbstorganisierten Bildung zurecht zu finden. Der Kompass richtet sich in erster Linie an interessierte junge Menschen und deren Familien, die noch weitestgehend unerfahren in der Materie sind und die sich hier in komprimierter Form einmal grundlegend informieren können und viele Hinweise, Weiterleitungen und tiefgreifende Informationsquellen finden, um sich in ihrem persönlichen Fall gezielt orientieren zu können. Der thematische Aufbau ist dabei in erprobter Reihenfolge gestaltet. Eben so wie wir selbst »damals« vorgegangen sind, um uns im Themenkomplex »Freilernen« zurecht zu finden.

Das Navigationsmenü führt den Besucher nach Themen gegliedert durch die Seiteninhalte

Nach einer allgemeinen Klärung und Unterscheidung der gängigen Begrifflichkeiten wie »Unschooling«, »Frei-Sich-Bilden« und »Homeschooling« wird im ersten Kapitel unter dem Stichwort »Macht euch schlau« ein Überblick über gute Einstiegs-Literatur und sonstige Medien gegeben. Im zweiten Schritt gibt es unter »Vernetzt euch« Tipps und Adressen rund um den Austausch mit anderen Interessierten und aktiven Freilernen. Von besonderer Relevanz ist für viele sicherlich Schritt drei, in dem es heißt: »Plant euren Weg«. Hier werden die grundsätzlichen Möglichkeiten aufgeführt, die man hat, um schulfrei leben zu können sowie dem nahestehende Alternativen. Dabei finden neben den legalen Möglichkeiten auch die in Deutschland gesetzwidrigen Methoden ausführliche Beleuchtung und es gibt weiterführende Links, um bestimmte Wege gezielt zu erkunden.

Eine gewisse Einzigartigkeit stellt im Freilerner-Kompass sicherlich die Behandlung von Kapitel vier »Holt euer Umfeld ab« dar. Nach meinem Kenntnisstand ist dieser Bereich in kaum einem Buch zum Thema Freilernen oder irgendwo im Internet bislang hinreichend behandelt und hier findet ihr viele gute Strategien und Erlebnis-Berichte, wie man die Billigung – vielleicht gar die Unterstützung – durch Familie, Freundeskreis und co. für dieses schwierige – zum Teil schlicht angstbesetzte Thema – sanft gewinnen kann. Der optionale Schritt fünf »Engagiert euch« regt Dinge an, die man selbst tun kann, um freier Bildung landläufig zu mehr Akzeptanz zu verhelfen. Schritt sechs behandelt unter der Überschrift »Und das Freilernen beginnt«, alle wichtigen Aspekte, die den aktiven Freilerner-Alltag unmittelbar betreffen. In Kapitel sieben wird schließlich mit »Das Leben danach« aufgezeigt, wie es für einen erwachsenen Menschen weiter gehen kann, der Teile seines bisherigen Lebens oder gar vollständig freilernend gelebt hat.

Ein Forum für Medienvertreter und Informationen für allgemein interessierte Menschen

Neben dem umfassenden Infobereich für unmittelbar betroffene Menschen, bietet der Kompass auch Sektionen speziell für Medienvertreter und allgemeine Informationen für die nichtbetroffene, breite Öffentlichkeit. Da ich selbst langjährige Berufserfahrung im Medienbereich habe und die Pressearbeit von Innen heraus kenne, bietet es sich natürlich an, über den Freilerner-Kompass auch Medienanfragen gezielt zu bedienen und Handreichung zu leisten, um Medienvertretern sachlich korrekte Informationen und passende Interviewpartner zu vermitteln. Im Informationsbereich für die breite Öffentlichkeit findet man schließlich stichhaltige Argumente, gegen die meist geäußerten, typischen Vorbehalte. Der interessierte Leser kann hier ein differenziertes Bild zum Thema schulfreie Bildung erlangen, ohne dass es hierbei meine Absicht wäre, einen Außenstehenden tiefgreifend zu überzeugen.

Hier geht es viel mehr darum ein Plädoyer für die Akzeptanz anderer Lebensentwürfe zu halten und zu verdeutlichen, dass die gesellschaftlichen Ängste zum schulfreien Lernen weitestgehend unbegründet sind und anders herum aufzuzeigen, dass es für manche Menschen gute und nachvollziehbare Gründe gibt, sich für einen derartigen Weg zu entscheiden.

Wie geht es weiter?

Schon heute steht für mich fest, dass der Freilerner- Kompass perspektivisch um essentielle Bestandteile erweitert werden soll. Geplant ist, ein noch umfangreicheres Presseportal mit News-Sektion zu etablieren, wo Freilerner-Aktivisten gezielt in den Austausch mit Medienvertretern und ihrem interessierten Publikum gehen können. Eine detaillierte Medienübersicht soll es ebenso geben, in der alles was bislang zum Thema Freilernen publiziert ist, umfassend rezensiert und thematisch eingeordnet wird, seien es Bücher und Filme aber auch Internetseiten und Medienberichte.

Ein weiteres Projekt befindet sich momentan schon in der konkreten Ausarbeitung: Es handelt sich dabei um eine großangelegte Erhebung zum Thema Freilernen und soll 2017 noch durchgeführt, ausgewertet und mit ihren Ergebnissen veröffentlicht werden.

Der Artikel ist 2017 in Heft 75 – Sozialisation erschienen.

Diese Erhebung ist konzipiert in enger Zusammenarbeit mit aktiven Freilerner-Familien und bereits erwachsenen Freilernern und hat zum Ziel, eine umfassende Situations-Analyse der Deutschen Freilerner-Landschaft zu liefern. Befragt werden hier neben aktiven Freilerner-Eltern auch junge schulfrei-lebende Menschen. Zudem wird es eine Umfrage geben, in der auch erst Interessierte zu Wort kommen. Sinn und Zweck ist es hierbei empirisch zu ermitteln, was Menschen zum Freilernen bringt, wie sich ihre Ausgangslage gestaltet und wie zufrieden die jungen Menschen in ihrer Situation sind. Es soll aber auch gezeigt werden, welches Potential in Deutschland schlummert – was sich Menschen wünschen, die bislang (noch) nicht aktiv freilernen, aber mit der Idee sympathisieren. Übergeordnet soll hier auch auf seriöse Art und Weise das Freilernen von anderen Spielarten des schulfreien Lebens wie Homeschooling oder dem was landläufig unter Schulschwänzen verstanden wird, abgegrenzt werden, um in der politischen und öffentlichen Debatte endlich mit stichhaltigen Zahlen und Fakten argumentieren zu können.

Nach jetzigen Stand wird die Freilerner-Erhebung 2017 ab September starten und soll Ende Oktober abgeschlossen sein. Für Dezember ist dann eine Veröffentlichung der Ergebnisse angedacht. Die Bewerbung der Erhebung ist bereits breitflächig geplant und soll über sämtliche bekannte Kanäle online wie offline und in enger Kooperation mit allen wichtigen Verlagen, Autoren und Aktiven erfolgen. Ich würde mir sehr wünschen, dass hieran zahlreich teilgenommen wird. Die Befragung findet selbstverständlich in anonymisierter Form statt. Unter anderem auch auf der Umfragen-Plattform SoSciSurvey.

Idealerweise können wir danach auch endlich mit einer konkreten Zahl aufwarten, wieviele deutsche Freilerner es tatsächlich da draußen gibt und mit der ominösen Zahl »1.000 Kinder ohne Schulbesuch« aufräumen.

Der Freilerner-Kompass freut sich auf viele Besucher und ich bin jederzeit dankbar über Austausch, Feedback, kritische und lobende Stimmen und sonstige Anregungen, die ihr mir unter kontakt@ freilerner-kompass.de zukommen lassen könnt. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass hier viele Menschen eine erste Orientierung finden und dass der Kompass das seinige dazu gibt, um der Freilerner-Bewegung weiter ordentlich Auftrieb zu geben.

Die Website findet ihr unter: www.freilerner-kompass.de


Stefanie Weisgerber ist 38 Jahre alt, Mutter einer vierjährigen Tochter und eines zweijährigen Sohnes. Sie lebt mit ihrem Mann Christian und ihren Kindern in Grevenbroich bei Düsseldorf. Die selbstständige Grafik-Designerin engagiert sich seit drei Jahren schon in der Freilerner-Landschaft. So ist sie unter anderem sehr aktiv bei den Freilernern in NRW und in der Freilerner-Solidargemeinschaft. Mit dem Freilerner-Kompass tritt sie nun bewusst an die Öffentlichkeit, um ihren Beitrag zu leisten, selbstbestimmter und selbstorganisierter Bildung in Deutschland zu mehr Akzeptanz zu verhelfen.