Die eigene Sache selbst in die Hand nehmen

Text: Christiane Ludwig-Wolf

Unsere Welt braucht dich und mich ganz hier im Jetzt. Sie braucht, dass wir tun was zu tun ist. Sie braucht da zu sein, zu spüren, zuhören, lauschen, nach innen und außen, sagen was zu sagen ist und Stille, wo Stille gut tut. Fest auf beiden Beinen stehen, um gut zu stehen, um zu verstehen und einzustehen, für das was wir tun oder auch lassen. Und sie braucht eine große Offenheit für Neues, was noch nicht denkbar ist, was größer ist als unsere bisherigen Vorstellungen und Möglichkeiten. Tasten, suchen, vielleicht auch nur abwarten, mutig ausprobieren, spielen, experimentieren.

Wir sehen was nicht funktioniert, so nicht weiter gehen kann, menschenverachtend ist, unsere Welt zerstört oder zumindest bedroht, das Leben anderer und unser eigenes. Was erledigt sich von selbst, weil es von anderem, sinnvollerem ersetzt wird? Wo bedarf es klarer Aussagen, formulierten Widerstand? Von was hält uns dieses Dagegensein ab? Oder bringt genau das uns zu uns, schafft Klarheit – und wird nicht in dieser Kultur des Widerstands gleichzeitig Neues erprobt? So zum Beispiel in Bezugsgruppen und Sprecherräten mit Konsensentscheidungen. Auch dort entstehen Netzwerke, finden viele Gespräche und Kontakte statt, gibt es einen Austausch an Erfahrungen.

Ist Nichtssagen Zustimmung? Bringt mich das Starren auf die Schrecklichkeiten und Unzulänglichkeiten dieser Welt dazu, selber zu erstarren? Werde ich dadurch gelähmt oder ist es eine gute Ausrede, mich nicht um das kümmern zu müssen, um das ich mich kümmern sollte? Was passiert, wenn keine was sagt, wenn der Baum auf der anderen Straßenseite gefällt wird, wenn keine was sagt, wenn der Opa seine Enkelin grob am Arm packt und zu sich her reißt, wenn Männer sich auf offener Straße prügeln und alle schauen weg?

Mich üben in der Wahrnehmung meiner selbst, meine Muster erkennen und nach und nach loslassen, achtsam mit mir, anderen und anderem umgehen geben mir Boden unter den Füßen und machen mich handlungsfähig. Es hilft mir zu erkunden, was mir gut tut, was mich stark und zuversichtlich macht und zu erkennen, was wichtig ist zu tun. Was ich mache, wirklich zu wollen und nicht es nur recht machen wollen.

Nicht ohne Auswirkungen ist der eigene Lebensstil. Was und wen unterstütze ich mit meinen Einkäufen, mit Strom, Lebensmitteln oder Kleidung? Und wie abhängig mache ich mich dadurch von großen Konzernen? Die eigene Sache wieder selber in die Hand nehmen. Überschaubare Strukturen führen weiter. Mit dem Einkauf beim regionalen Biobauern, Mitgliedschaft in der »Solidarischen Landwirtschaft« oder der eigenen Bewirtschaftung eines Gartens habe ich Einfluß auf das, was ich esse und wie mit dem Land, auf dem die Nahrung wächst, umgegangen wird.

Vielfalt und Vernetzung scheinen mir wesentlich zu sein und eine Atmosphäre des gegenseitigen Wohlwollens und der gegenseitigen Unterstützung. Oft fühlen wir uns im Mangel, es gibt Zeitmangel und Geldmangel, Landmangel und manchen Mangel mehr. Unsere Gesellschaft kultiviert den Mangel und manche leben davon nicht schlecht. Aber eigentlich ist genug für alle da und es lohnt sich, die Fülle zu leben. Wir können mehr auf das achten, was gut funktioniert, auf das, was gelingt. Wir sind es gewohnt auf Fehler zu schauen, auf das was wir falsch machen und nicht können. Schon in der Schule wird in der Regel nicht das bewertet, was gekonnt wird, sondern das rot angestrichen was falsch ist. So wird der Blick auf den Mangel gerichtet, was demotivierend und entmutigend ist. Zu schauen, was wir können ermutigt und spornt an weiteres zu lernen.

Vielleicht gibt es mehr Fragen als Antworten und noch viel mehr unbekannte Fragen. Es gibt aber auch viele Richtungsweiser, viele Menschen, die in Frage stellen, Fragen stellen und nach neuen Antworten suchen, die neue Wege gehen und es gibt viele Möglichkeiten, mit zu machen oder Eigenes zu machen.

In den Infokästen hier im Heft sind einige wenige der Projekte und Initiativen vorgestellt, die es gibt. Manches möge zum Mitmachen oder Unterstützen anregen oder auch dazu, Eigenes zu beginnen oder ganz Neues auszuprobieren.

Lernen, forschen, Wissen austauschen, sich vernetzen kombiniert mit einer Portion Begeisterung und Lachen, ich glaube, das kann unsere Welt brauchen. 


Skills for Action

Für gelingende Aktionen – nicht nur, aber vor allem auch für Aktionen des zivilen Ungehorsams – benötigen wir gute Vorbereitung, Erfahrungsaustausch und ktionstechniken, die erlernbar sind! Ein Raum, um dies zu ermöglichen, können Aktionstrainings sein. Dort können Aktionserfahrungen unter den Teilnehmenden ausgetauscht, Blockade- und andere Aktionstechniken praktisch geübt und schnelle Entscheidungsfindung in Stresssituationen ausprobiert werden. Skills for Action bietet Trainings für Neulinge und Erfahrene, für Einzelpersonen, die sich zu einer Aktion zusammenfinden wollen sowie bestehende Bezugs- und Aktionsgruppen, die sich gemeinsam vorbereiten wollen. Inhalte der Trainings können sein: Aktionsvorbereitung und –planung, Kommunikation und Entscheidungsfindung in und zwischen Bezugsgruppen, ziviler/sozialer Ungehorsam, Blockadetechniken, Rechtshilfe. Es geht darum, die individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit zu erhöhen, Ängste abzubauen, auf bereits Erprobtes aufzubauen und Neues zu lernen. www.skillsforaction.wordpress.com

Konsensentscheidungen

Bei der Konsensentscheidung geht es darum, gemeinschaftlich getragene Beschlüsse zu fassen, die alle mittragen können. Dies erfordert eine Kultur des Miteinanderredens und Einanderzuhörens. Beschlüsse müssen reifen und sie funktionieren nur in einem Klima von gegenseitiger Solidarität. Das Konsensprinzipg ist in autoritären, machtbesessenen, von Karriere geprägten Strukturen zum Scheitern verurteilt. Traditionell wurde (und wird) das Konsensprinzip in matriarchalen Kulturen zur Entscheidungsfindung angewandt. Mehrheitsentscheidungen sind dort unbekannt. Bei Konsensentscheidungen werden die Bedenken aller berücksichtigt und alle fühlen sich wahrgenommen, um eine Lösung zu finden, die für alle gut ist. Möglich sind auch Enthaltungen von einzelnen Gruppenmitgliedern, die aber dann im Ergebnis benannt werden müssen. Ist überhaupt kein Einverständnis vorhanden, kann ein Veto eingelegt werden, was einen Gruppenbeschluß verhindert. Dies darf nur die absolute Ausnahme sein. Wenn längerfristig größere Uneinigkeiten herrschen, wird es dazu führen, dass unterschiedliche Wege gegangen werden. Mehr dazu in dem Artikel »Konsens, eine Findung« von Jochen Schilk, OYA 22/2013, www.oya-online.de/article/read/1088-konsens._eine_findung.html

Ende Gelände

Ende Gelände ist ein breiter Zusammenschluss von Menschen aus den Anti-Atom- und Anti-Kohle- Bewegungen, aus den Vorbereitungsgruppen der Klimacamps in Rheinland und Lausitz, von der Waldbesetzung im Hambacher Forst, aus klimapolitischen Graswurzelinitiativen und Bürgerinitiativen, aber auch größeren Umweltorganisationen, aus linken Politgruppen und anderen mehr. Gemeinsam ist die Überzeugung, Klimaschutz selber in die Hand nehmen zu müssen und der Wunsch, mit Aktionen zivilen Ungehorsams weithin sichtbare Signale für eine Wende hin zu echtem Klimaschutz zu setzen.
www.ende-gelaende.org

Commons – Commons Projekte

Gemeingüter, die wichtig sind für die ganze Gemeinschaft und nicht privatisiert werden dürfen. Das können natürliche Gemeingüter wie Wasser, Wald, Atmosphäre, Biodiversität, Saatgut, aber auch Wissensgüter oder digitale Güter sein. Es geht aber auch vor allem um die Art, wie miteinander umgegangen wird, die Art der Strukturen untereinander. Durch Commons entsteht strukturelle Gemeinschaftlichkeit statt struktureller Konkurrenz. Es geht um Nachhaltigkeit, um eine enkeltaugliche Gesellschaft, um freie Kooperation. Mehr findet ihr unter www.freilerner.de/zeit-fuercommonistinnen oder könnt auch ein Buch zum Thema als PDF herunterladen. Und ein Commons Projekt ist das Mietshäusersyndikat, das Wohnraum dem Immobilienmarkt entzieht, als Gemeingut organisiert und langfristig als Gemeingut erhält.
www.syndikat.org

Vertrauen und materielle Grundsicherung

Mein Grundeinkommen

Die Initiative »Mein Grundeinkommen« tritt für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein und um konkret zu handeln und Erfahrungen zu machen, sammelt sie per Crowdfunding Geld für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das immer, wenn 12 000 € zusammen gekommen sind, verlost wird und ermöglicht, dann dieser Person ein Jahr lang im Monat 1000 € zu überweisen. Mitmachen bei der Verlosung kann ohne Bedingungen jede/r. Auf der Internetseite wird berichtet, was die Menschen machen, die das Grundeinkommen bekommen (haben) und wie es ihnen damit ergeht. www.mein-grundeinkommen.de

Sanktionsfrei

»Sanktionsfrei« setzt sich für eine sanktionsfreie Grundsicherung ein. Sanktionsfrei unterstützt arbeitslose Menschen im Kontakt mit dem Arbeitsamt, hilft bei der Stellung von Anträgen und bei Sanktionen, die das Arbeitsamt verhängt. Dabei geht es von amwaltlicher Unterstützung bis zum finanziellen Ausgleich der Sanktionen.
www.sanktionsfrei.de

Lebenshaus Schwäbische Alb

Das »Lebenshaus Schwäbische Alb – Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V« in Gammertingen, Kreis Sigmaringen, ist eine Gemeinschaft, die sich mit den verschiedensten Formen zerstörerischer Gewalt beschäftigt und darauf existenzielle Antworten sucht. Solidarität und Miteinanderteilen sind wichtige Themen, weshalb das Lebenshaus Menschen in Krisen- und Übergangssituationen begleitet und unterstützt und ihnen ermöglicht, in der Hausgemeinschaft mit zu leben.
www.lebenshaus-alb.de

Cafés und Speiselokale

Repair Cafés

In »Repair Cafés« treffen sich Menschen, um kaputte Dinge gemeinsam wieder instand zu setzen. Dies sind gemeinschaftliche Initiativen zur Selbsthilfe, um die Lebensdauer von Produkten zu verlängern und Müll zu sparen. www.reparatur-initiativen.de

Nobelhart&Schmutzig

»Nobelhart&Schmutzig« ist ein Nobellokal in Berlin, das für seine Gerichte ausschließlich regionale und saisonale Produkte verwendet. Selbst Gewürze wie Pfeffer und Curry sind tabu. Die Produkte stammen alle direkt von den Erzeugern, mit denen die Köche in direktem Kontakt sind. Auf der Internetseite ist eine Liste der Produzenten zu finden, mit der ausdrücklichen Aufforderung, diese zu besuchen und daheim auch regional zu kochen. www.nobelhartundschmutzig.com

Teestube Madia

Ganz anders die »Teestube Madia« in Potsdam, ein kleines Familien- Café, in dem ehrenamtlich bio, fair und vegan gekocht wird. Ziel ist es, zu mehr Nachhaltigkeit und fairem Handel beizutragen. Zurzeit gibt es vier Mal in der Woche einen Mittagstisch, ein kleines Familien-Café, ein Fairtrade-Regal und einen Umverteiler-Ableger für Bücher und Kleider. Es gibt kalte und heiße Getränke und Überraschungskuchen sowie eine Infoecke und manches mehr. »Bezahlt« wird in eine Spendenbox und ein Barometer zeigt an, ob die Spenden die Ausgaben decken.
www.mapove.wordpress.com

Kaffeekollektiv Aroma Zapatista
und Café Libertad Kollektiv

Wer seinen Kaffee nicht nur bio und fair kaufen will, sondern direkt die Kaffeeanbauerinnen und ihre selbstverwalteten Strukturen unterstützen möchte, kann sich an das Kaffeekollektiv Aroma Zapatista in Hamburg wenden. Neben dem solidarischen Handel mit Kaffee setzt sich das Kollektiv kritisch mit bestehenden Arbeits- und Wirtschaftsstrukturen auseinander sowie deren Umsetzung. www.aroma-zapatista.de Ebenfalls in Hamburg ansässig ist das »Café Libertad« Kollektiv www.cafe-libertad.de

Menschenrechte

Sea-Watch

Die Europäische Union setzt sich für Demokratie und Menschenrechte ein, schottet sich jedoch gleichzeitig immer weiter gegen Menschen auf der Flucht ab, sei es durch milliardenschwere Grenzsicherungsanlagen oder völkerrechtlich bedenkliche und umstrittene Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten wie der Türkei. Aufgrund dieser Abschottung ertrinken jährlich Tausende Menschen bei dem Versuch, einen sicheren Hafen der EU zu erreichen, viele von ihnen in Sichtweite unserer Ufer und Strände. Deshalb hat der Sea-Watch e.V. sich der Seenotrettung verschrieben. Kein Mensch sollte auf der Flucht und in der Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben an den Außengrenzen der Europäischen Union sterben. Sea-Watch ist Ende 2014 aus einer Initiative von Freiwilligen entstanden, die dem Sterben im Mittelmeer nicht mehr länger tatenlos zusehen konnten.
www.sea-watch.org

peace brigades international (pbi)

peace brigades international (pbi) ist eine von den Vereinten Nationen anerkannte Friedens- und Menschenrechtsorganisation und seit 1981 in Krisengebieten tätig. pbi arbeitet unabhängig von wirtschaftlichen Interessen und hat keine bestimmte politische oder religiöse Ausrichtung. Auf ausdrückliche Anfrage von Menschenrechtsverteidiger_innen, die von politisch motivierter Gewalt bedroht sind, organisiert pbi eine schützende Präsenz mithilfe internationaler Freiwilligenteams. Auf diese Weise bleiben Handlungsräume für eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung erhalten. Hierbei sind beide – Beschützte und Begleitende – durch ein weltweites Alarmnetzwerk mit Kontakten zur Politik, Diplomatie und Zivilgesellschaft abgesichert. Nach neun abgeschlossenen Projekten ist pbi derzeit in sieben Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens aktiv: Mexiko, Guatemala, Kolumbien, Honduras, Kenia, Nepal und Indonesien.
www.pbideutschland.de

Pro Asyl

Asyl ist Menschenrecht. Pro Asyl leistet Hilfe im Einzelfall, dokumentiert Menschenrechtsverletzungen und tritt für den Flüchtlingsschutz ein. Pro Asyl setzt sich ein für Menschen- und Flüchtlingsrechte, informiert über die Abschottungspolitik der EU und setzt sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein. Pro Asyl deckte Menschenrechtsverletzungen auf, die von Masseninhaftierungen über schwere Gewalttaten von Polizisten und Grenzbeamten bis hin zur illegalen Zurückweisung Schutzbedürftiger reichen. Im Einzelfall hilft Pro Asyl in rechtlichen und sozialen Fragen und vermittelt Konakt zu Beratungsstellen vor Ort.
www.proasyl.de

Landwirtschaft

Solidarische Landwirtschaft

Hierbei wird nicht das landwirtschaftliche Produkt bezahlt, sondern die Arbeit des Landwirts oder Gärtners. Der landwirtschaftliche Betrieb beliefert regelmäßig einen festen Kreis von Verbrauchern mit Lebensmitteln. Die Verbraucherinnen und Verbraucher zahlen, verbindlich für ein Jahr zugesagt, einen monatlichen Betrag an den Landwirt. Verbraucherinnen und Verbraucher können sich zum Beispiel an Arbeitseinsätzen und Anbauplänen beteiligen. Der Landwirt muß nicht alleine das Risiko und die Vorfianzierung des Anbaus tragen, die regionale Landwirtschaft wird gefördert und eine Verbindung von Verbraucher und Landwirten hergestellt.
www.solidarische-landwirtschaft.org

Permakultur

Permakultur bedeutet dauerhafte Landwirtschaft und hat als Grundlage die Beobachtung der Natur und wie sich Leben entwickelt. Es baut auf einer ethischen Grundhaltung auf, dem achtsamen Umgang mit der Erde, dem achtsamen Umgang mit Menschen und der Selbstbegrenzung und Überschußverteilung. Die Prinzipien der Permakultur sind in allen Lebensbereichen anwendbar.
www.permakultur-info.de

Essbare Gemeinden

Essbare Gemeinden gibt es inzwischen weltweit. Dahinter steht die Idee der Nahrungsmittelsouveränität, Selbstständigkeit und –tätigkeit sowie die Freude am gemeinsamen Tun.
www.einfachessbar.org

Sepp Holzer

Ein besonders eindrückliches Permakulturprojekt im Bereich der Landwirtschaft ist der Krameterhof von Sepp Holzer in Österreich. In landwirtschaftlichem Grenzland in den Alpen hat er eine ganzheitliche und vielfältige Landwirtschaft entwickelt. Den Hof hat inzwischen sein Sohn übernommen, seine Erfahrungen hat er in zahlreichen Büchern weitergegeben, ebenso in Seminaren und in der Beratung von Projekten weltweit. www.krameterhof.at, www.seppholzer.at

Alb-Leisa

Nachdem in den 1950iger Jahren der Linsenanbau in Deutschland ganz eingestellt wurde und sich ins Ausland verlagerte, baute Woldemar Mammel in Lauterach (Schwäbische Alb) seit 1985 zum ersten Mal wieder Linsen an. Altes, regionales Saatgut war nirgends aufzutreiben, weshalb er zunächst eine kleine, dunkelgrün marmorierte Linsensorte aus Frankreich anbaute. Der Linsenanbau und die anschließende Reinigung sind aufwendig und mit manchen Schwierigkeiten verbunden. 2001 wird die Öko-Erzeuger- Gemeinschaft-Alb-Leisa gegründet, für die mehrere Bioland-Höfe Linsen anbauen. 2006 werden in der Wawilow-Saatgutbank in St. Petersburg (Russland) die historischen Alblinsensorten Späths Alblinse I und Späths Alblinse II wiederentdeckt. Diese dort erhaltenen kleinen Saatgutmengen werden in mühsamer Kleinarbeit zunächst in Gewächshäusern, später im Freiland vermehrt und können seit 2011 wieder verkauft werden.
www.alb-leisa.de

Saatgut

Die Pflanzenzüchtung begann vor 10 000 bis 13 000 Jahren mit dem Seßhaftwerden von Menschen. Bäuerinnen und Bauern waren immer schon auch Züchter, sammelten Saatgut, vermehrten es, tauschten es und entwickelten damit das Saatgut für ihre ganz speziellen Bedürfnisse in ihrer Region weiter. Es gab eine riesige Vielfalt an Sorten. Saatgut war Gemeingut, ebenso wie das Wissen um Saatgutvermehrung. Ab dem frühen 20. Jahrhundert wurde Hybridsaatgut entwickelt, das die Nachzucht verhindert. Seit den 1930ern Jahren gibt es Schutzrechte auf Saatgut und jahrtausende alte Praxis wird damit illegal. Nur wenige Konzerne der Agrarindustrie züchten Saatgut nach ihren Interessen. Die Vielfalt der Sorten nimmt rapide ab. In dem Buch »Wer die Saat hat, hat das Sagen« von Anja Banzhaf (Verlag www.oekom.de) wird diese Entwicklung beschrieben und über zahlreiche Initiativen berichtet, die sich der bäuerlichen Saatgutvermehrung verschrieben haben. Auf Saatgut- Tauschbörsen wird Saat getauscht, Wissen geteilt, Kontakte gepflegt und Netzwerke aufgebaut. Altes Saatgut wird gesammelt, Samenbanken entstehen, Schaugärten und vieles mehr. Das Buch macht Lust, beim Samengärtnern selbst dabei zu sein. Eine ausführliche Adressliste schließt das Buch ab. Weiterführende Informationen sind zum Beispiel unter www.arche-noah.at zu finden.

Regionale Wertschöpfung – Wolle

Wolle war früher eine Haupteinnahmequelle der Schäfer. Heute ist sie wenig wert und die Einnahmen decken oft kaum mehr die Schurkosten oder sie wird sogar teuer entsorgt. Beherrscht wird der Markt von den Gesetzen des Welthandels. Die meiste in Deutschland verwendete Wolle kommt aus Übersee, zum Beispiel Australien und Neuseeland. Meist ist diese Wolle viel feiner als die heimische. Auch die Verarbeitung der heimischen Wolle findet kaum noch in Deutschland statt. Inzwischen gibt es keine Wollwäscherei mehr in Deutschland, eine winzige Wäscherei ist in Österreich (schafwolle.com), die ab 50 kg Wolle wäscht. In Belgien wird ab 500 kg Wolle gewaschen und ein großer Teil der Wolle wird in China gewaschen. Immer wieder gibt es aber Bestrebungen, heimische Wolle wieder in Wert zu setzen und regional zu verarbeiten.

Im Allgäu gibt es einen kleinen Schäferei Familienbetrieb, der neben seiner Schafhaltung eine Wollkardierei betreibt und Wolle aus der Region verkauft (greber-schafe-wolle.de)

Seit 1890 wird die Spinnerei Dickel als Familienbetrieb im Sauerland geführt und noch heute werden dort auch kleine Mengen an Schafwolle und andere Fasern wie Alpaka Wolle gesponnen. (sauerlandwolle.de).

»Beuroner Filz« im Naturpark Oberes Donautal gibt es seit 2003. Ziele sind der Erhalt regionaler, landwirtschaftlicher Strukturen und Landschaftsformen, die Aufwertung der heimischen Schafwolle und die Neubelebung alter Handwerksformen. Neben Produkten, die in Zusammenarbeit mit anderen Handwerksbetrieben hergestellt werden, werden vor allem handgefilzte Produkte aus regionaler Wolle von einer Gruppe von Filzerinnen hergestellt. (beuroner-filz.de)

Um seltene, heimische Schafrassen erhalten zu können und deren Wolle sinnvoll zu verwerten, wurde die »Kollektion der Vielfalt« entwickelt. Aus der jeweils rassetypischen Wolle werden attraktive Produkte umweltschonend und regional in kleinen Betrieben, meist Familienbetrieben, in Deutschland und Österreich hergestellt. (kollektion-der-vielfalt.de)

Elbwolle ist ein ganz junges Unternehmen, das Wolle aus der Arche- Region-Flusslandschaft-Elbe sammelt und in regionalen Betrieben zu unterschiedlichen Produkten verarbeiten läßt. (elbwolle.de)

Im Bisophärengebiet Schwäbische Alb webt die Handweberin Lina Dippel aus regionaler Wolle Biosphärentweet (textilkunst‑lina‑dippel.de). Die Firma Flomax stellt aus Alb- Merino Wolle Kleidung her (albmerino.de) und im Entstehen ist die Initiative »Wollwerk«, die auch die handwerkliche und regionale Verarbeitung von regionaler Wolle voranbringen will und dabei auf die gemeinschaftliche Zusammenarbeit und den Austausch unter den mit Wolle befaßten Menschen setzt.


Der Artikel ist 2017 in Heft 73 – Was braucht unsere Welt? erschienen.