Junge Menschen und die neuen Medien

Text: Christina Schön

Kaum ein Thema, das die Gemüter von manchen Eltern so schnell erhitzt und manche Erwachsene so sehr verunsichert, wie das Thema »Umgang mit Medien«. Da gibt es einen Hirnforscher, Manfred Spitzer, der vor digitaler Demenz warnt. Hier gibt es öffentliche Empfehlungen, wieviel Medienzeit in welchem Alter noch akzeptabel ist. Gibt es einen Elternratgeber, der nicht auf die vielen Gefahren und Risiken eingeht, die angeblich von den faszinierenden Geräten ausgehen? Viele Lehrer beklagen mangelnde Konzentrationsfähigkeit, schlechte Noten, zu wenig Frustrationstoleranz und sonstige schlechte Eigenschaften bei ihren Schülern, wofür sie die Medien verantwortlich machen. Von Sucht ist die Rede, von Angst und Sorgen werden viele Erwachsene geplagt, wenn es um den Umgang mit modernen Medien geht. Ratlosigkeit macht sich in der Erwachsenenwelt breit. Es gibt abendfüllende Elternabende, die sich nur mit der Mediennutzung befassen. Verschiedene Stimmen prophezeien uns, dass die neuen Medien unsere Kinder zu gefühllosen Monstern werden lassen, die nur noch in einer virtuellen Welt leben und ihre Zeit mit sinnlosen Dingen vergeuden. Es gibt inzwischen psychologische Praxen, die gefüllt sind mit angeblich Spielsüchtigen.

In vielen Zeitschriften, Magazinen, ob gedruckt oder online, Radiosendungen, kaum ein »Medium«, das sich nicht mit »Mediennutzung« beschäftigt, sogar die »Freilerner« hat sich diesem Thema gewidmet :-). Da wird vor Smartphones gewarnt, dort werden Studien zitiert, die zu dem Ergebnis gekommen sein wollen, dass die Gewaltbereitschaft durch Killerspiele steige, dass die Nutzung des Computers unsere Kinder verblöden ließe. Es wird behauptet, dass das Fehlen von grundlegenden Sozialkompetenzen unter Jugendlichen durch unkontrollierten Medienkonsum verursacht würde. Scheinbar werden sämtliche Probleme in unserer Gesellschaft durch Nutzung von elektronischen Medien verursacht. Gab es vor dem Medienzeitalter keine Probleme mit unserer »verkommenen Jugend«? Gab es keine Gewalt vor dem Computerzeitalter? Gab es früher wirklich weniger Gewalt? War früher alles besser?

»Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.« dies hat jedenfalls Sokrates ein paar Hundert Jahre vor Christus bereits behauptet. Wahrscheinlich finden sich ähnliche Beschwerden in Runen geschrieben, oder gar in Hieroglyphen verfasst, vielleicht auch in Keilschrift. Höhlenmalereien aus der Steinzeit haben sicherlich auch das ein oder andere über die schlechte »Jugend von heute« zu beklagen, wer weiß… also ein alter Hut das Ganze. Es gab wohl schon immer Warnungen vor dem »neumodischen Zeug«, das die jungen Menschen dumm, faul, aggressiv, rücksichtslos, depressiv, verhaltensgestört und was alles sonst noch werden läßt. Sorgen um romanlesende junge Frauen, musikhörende Jugendliche, durch Comics verdorbene Sprache, die allgemeine geistige Verarmung der jungen Generation durch nutzlose Poesie, usw. hat sich bis jetzt schon jede Generation gemacht.

Es gibt aber auch andere Stimmen, wenn auch nicht so laut und vielen vielleicht nicht so bekannt. Peter Gray, ein amerikanischer Psychologe hat einen ganz anderen Blick auf die Mediennutzung unserer Kinder: »Warum sollten wir die Computerzeit eines Kindes begrenzen wollen? Der Computer ist, ohne Frage, das wichtigste Werkzeug der modernen Gesellschaft. Wenn wir die Computerzeit von Kindern eingrenzen, ist das, als würden Eltern in einer Jäger-und-Sammler- Gesellschaft die Pfeil-und-Bogen-Zeit ihrer Kinder begrenzen.« Gray berichtet von Studien, die genau das Gegenteil beweisen wollen, was gemeinhin von elektronischen Medien angenommen wird. Demnach sollen sich durch Videospiele u.a. grundlegende Wahrnehmungs- und kognitive Fähigkeiten verbessern. Neben Gray gibt es noch weitere, verschiedene Fachleute, die einen ganz anderen, durchaus positiven, Blick auf die neuen Medien haben, wie der Psychologe Dietrich Dörner etwa, oder der Pfarrer Thomas Harmann. Selbst der Kinderarzt Herbert Renz-Polster und der Hirnforscher Gerald Hüther widmen sich in ihrem gemeinsamen Buch »Wie Kinder heute wachsen« in einem ganzen Kapitel dem »Grossen Drinnen. Von Computern und Kinderspielen«. All diese Gegenstimmen haben z.T. ganz andere Erfahrungen gemacht und nehmen die virtuelle Welt völlig anders wahr als z.B. Manfred Spitzer. Ich finde, es lohnt sich, auch mal etwas Positives über die Nutzung von den neuen Medien zu erfahren. Wie alles im Leben, hat auch die Nutzung moderner Medien positive und negative Seiten. Auch extremes Bücherlesen kann zu Bewegungsmangel führen… Ich zitiere hier aus dem oben erwähnten Buch »Wie Kinder heute wachsen« von Herbert Renz- Polster und Gerald Hüther: »Schon Plato warnte vor dem Lesen – es töte das Gedächtnis und die Fähigkeit zu argumentieren. Die gebildete Mittelschicht (zumindest deren männlicher Teil) war bis Anfang des 20. Jahrhunderts von der Sorge umgetrieben, die leicht verführbare Damenwelt könne durch die Lektüre von Romanen moralischen Schaden nehmen und in ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter nachlassen.(…) Auch vor den ersten Kinos wurde gewarnt – die bewegten Bilder würden die Zuschauer bestimmt verrückt machen. Comics waren erst recht des Teufels, die Leser würden dadurch simpel und undifferenziert – wie die Comicfiguren eben. Noch stärkere Geschütze wurden gegen das Radio aufgefahren: Es nehme den Kindern ihr inneres Leben. Und noch vor 50 Jahren sah eine ganze Elterngeneration die Bildungskarrieren ihres Nachwuchses in Gefahr, weil ihre Kinder fest in die Hand eines zweifelhaften Mannes zu geraten drohten: Karl May.«

Ich habe ein Poster gesehen mit dem Titel »Medien damals und heute«. Das Bild ist zweigeteilt und zeigt in der oberen Hälfte Menschen, die in einer Straßenbahn nebeneinander sitzen. Jeder einzelne ist mit seinem Smartphone beschäftigt. Dazu ist folgender Satz zu lesen: »Technology makes us antisocial«. Das Bild darunter ist ein Foto (mit dem Ausruf: »Oh wait«) aus den vielleicht 50er Jahren, auf dem ebenso Menschen in der Straßenbahn zu sehen sind, wobei jeder einzelne mit je einer Zeitung beschäftigt ist…

In Deutschland hat sich die Jugendkriminalität in den letzten Jahren laut offiziellen Statistiken verringert: »Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist die Jugendkriminalität in Deutschland von 2007 bis 2015 um die Hälfte zurückgegangen. Auch die Brutalität bei Straftaten nimmt laut einer Studie aus Bayern ab.« Obwohl sich die Jugendgewalt zumindest laut Statistiken und Studien verringert hat, wird weiterhin von vielen Menschen behauptet, dass Videospiele die Gewaltbereitschaft erhöhe und die Jugendkriminalität am Steigen sei. Aber gerade in der Zeit, in der sich die Gewaltbereitschaft signifikant verringert haben soll, waren die Videospiele schon sehr verbreitet unter Kindern und Jugendlichen…

Der Artikel ist 2018 in Heft 78 – Umgang mit Medien erschienen.

Ich frage mich, ob es sich viele Menschen zu einfach machen, indem sie nahezu alles, was mit der Jugend nicht gut läuft, der Nutzung von Medien zuschieben. Werden elektronische Geräte nicht leichtfertig zum Sündenbock gemacht und lenkt das nicht von den eigentlichen Ursachen von bestehenden Problemen ab? Wird nicht manchmal Sucht mit Leidenschaft und Begeisterung verwechselt? Wenn jemand heutzutage leidenschaftlich Romane liest, wird man ihn kaum als lesesüchtig bezeichnen, zu einer früheren Zeit durchaus. Was ist Computersucht? Kann ein Gerät, eine Sucht auslösen? Liegen die Ursachen für echtes Suchtverhalten, egal um welche Sucht es sich handelt, nicht ganz woanders? Sind diese »süchtigen« Menschen nicht auf der Suche nach etwas, was ihnen fehlt? Ich bin der Auffassung, dass es die beste Suchtprävention darstellt, wenn wir zu unseren Kindern eine tragfähige Beziehung aufbauen, die auf bedingungsloser Liebe und Vertrauen basiert und ihnen die größtmögliche Freiheit gibt. Sichere Bindungen zu liebevollen Bezugspersonen minimieren meiner Meinung nach die Suchtgefahr.

Ich wünsche uns mehr Gelassenheit, wenn unsere Kinder sich für etwas begeistern, das uns nicht so recht gefallen will. Wir müssen nicht jede Leidenschaft teilen. Wir können aber unseren Kindern Eltern sein, die ihnen vertrauen, dass sie ihren Weg gehen werden, auch wenn wir selbst einen anderen gewählt hätten…

Ich beende den kleinen Ausflug in meine Gedanken mit drei Zitaten:

»Nichts ist so sehr für die gute alte Zeit verantwortlich wie das schlechte Gedächtnis.«
— Anatole France (1844 – 1924)

»Heute ist die gute alte Zeit von morgen«.
— Karl Valentin (1882 – 1948)

»Die Zukunft war früher auch besser!«
— Karl Valentin (1882 – 1948) ◼