Erfolg ist, was man selbst als solchen definiert

Nina Downer im Gespräch mit Malchus Kern, Ausgabe Nr. 95

Lieber Malchus, wir freuen uns, dass du unseren Leser*innen ein bisschen was über deinen Weg ins Berufsleben und deine Erfahrungen berichten möchtest.

Wie alt bist du und welche berufliche Tätigkeit übst du aktuell aus?

Ich bin jetzt 32 Jahre alt und Projektmanager in einer Online-Marketing & Personalmarketing Agentur, in der ich auch Mitgesellschafter bin.

Wie war das in deiner Kindheit und Jugend? Hast du eine Schule besucht oder bist du schulfrei aufgewachsen?

Ich wollte von Anfang an nicht in die Schule, da ich gesehen habe, wie wenig Spaß meine älteren Geschwister dort hatten. Schlussendlich wurde ich, nach viel Druck der Schule, dann an Weihnachten “eingeschult”, also einige Monate später. Anschließend bin ich in die örtliche, staatliche Grundschule gegangen und dann in die fünfte Klasse des Gymnasiums. Immer wieder habe ich geäußert, dass ich nicht weiter zur Schule gehen möchte. Anfang der sechsten Klasse, mit 11 Jahren, haben meine Eltern dann gesagt “Wir hören dich und sehen, dass es so nicht weitergehen kann”. Nach einiger Zeit zu Hause habe ich dann noch eine lokale Freie Aktive Schule besucht. Diese hatte allerdings nur die Grundschule, ich war dort mehr, um andere Kinder zu sehen und nicht des Lernens wegen. Auch gab es eine Gründungsinitiative für eine Demokratische Schule, die auch den Betrieb aufgenommen hat, aber nie genehmigt wurde. Dort bin ich auch einige Zeit hingegangen. Unterm Strich habe ich aber mit 11 Jahren die Schule verlassen.

Hast du einen formellen Schulabschluss? Wenn ja, was waren deine Beweggründe, dich dafür zu entscheiden und wie hat der Vorbereitungsprozess dafür ausgesehen?

Ich habe eine Ausnahmegenehmigung erhalten, in Vereinbarung mit dem Oberschulamt. Der Deal war, dass ich einmal im Jahr eine Prüfung ablege. Wenn ich diese bestehe, kann ich ein weiteres Jahr von zu Hause aus lernen. Im Rahmen dieser Vereinbarung habe ich den Hauptschulabschluss gemacht. Dieser hatte und hat für mich keine Bedeutung und ich habe ihn bisher auch nicht gebraucht und zeige ihn auch nicht vor. Wichtig war für mich damals nur, diesen zu bestehen. Vorbereitet hatte ich mich nicht darauf. Einen anderen Schulabschluss habe ich nicht gemacht. Für mich war immer klar, dass ich weder eine Ausbildung machen möchte noch studieren. Und auch, dass die Expertise zum gegebenen Zeitpunkt zählt und nicht, was ich vor z.B. zehn Jahren für einen Abschluss gemacht habe. Wichtig ist mir zu betonen, dass das eine sehr persönliche Entscheidung war. Grundsätzlich befürworte ich es, wenn junge Menschen Abschlüsse und/oder Ausbildung/Studium machen, denn es macht manches einfacher im Leben. Ich bin mit meiner Entscheidung aber nicht unzufrieden, für mich ist es weiterhin absolut stimmig, auch wenn ich in den Jahren manchmal daran gezweifelt habe, ob es die beste Entscheidung war.

Wie ging es dann nach dem Hauptschulabschluss für dich weiter?

Mit 15 (im Jahr 2005) bin ich nach Frankreich ins Burgund gezogen, zur Familie meiner damaligen Freundin. Die Familie hat einen Laden für Kunsthandwerk aus Indien und Indonesien betrieben. Dadurch habe ich viele Einblicke in das Thema Handel bekommen. Nach einigen Jahren haben meine damalige Freundin und ich dann einen Ebay-Shop gegründet für Schmuck und Bastelartikel. Dabei wurde dann meine Passion für Online-Marketing geweckt. Ende 2013 bin ich wieder zurück nach Deutschland gezogen. Da ich den Shop nicht mitnehmen konnte, der Markt in Deutschland war bereits gesättigt, habe ich mich, einfach gesagt, nach irgendeinem Job umgeschaut. Ich habe dann fünf Jahre im Großhandel für Bio-Lebensmittel in der Logistik gearbeitet. Auch wenn es zunächst irgendein Job war, so hat es mir viele weitere Einblicke in die Welt des Handels und der Logistik gebracht und mich dem Thema der nachhaltigen Lebensmittelproduktion näher gebracht, was schon vorher meine Passion war. In Frankreich habe ich mich sehr für nachhaltige Landwirtschaft und Permakultur interessiert. Nach einem Praktikum auf einem Demeter Bauernhof in Deutschland habe ich aber schnell gemerkt, dass ich nicht fürs Feld gemacht bin. Daher habe ich immer nach Möglichkeiten gesucht, meine Expertise mit dieser Passion zu verbinden und dabei einiges ausprobiert. Neben dem Job im Großhandel habe ich auf selbstständiger Basis Webseiten optimiert (Suchmaschinenoptimierung). Das hatte seine Wurzeln im Ebay-Shop, damit die Produkte in der Ebay-Suche besser angezeigt werden als die der Konkurrenz. Nachdem ich genug vom Bio-Großhandel hatte, habe ich mich mit der Suchmaschinenoptimierung komplett selbstständig gemacht. Dabei kamen viele Aufträge von einer Kundin. Das hat dann dazu geführt, dass ich von der Selbstständigkeit wieder in die Anstellung gewechselt habe und dort als Projektmanager angestellt wurde. Ach ja, nebenbei habe ich noch einen Onlineshop für Bio-Olivenöl gegründet und zwischendrin eine einmalige Ausgabe eines Print-Magazins über nachhaltige Landwirtschaft veröffentlicht. Anfang 2021 habe ich dann den Onlineshop in die Onlinemarketing-Agentur mit eingebracht und bin seitdem dort Minderheitsgesellschafter. Und als weiteres Thema ist dort über die Jahre noch das Thema Personalmarketing hinzugekommen. Wir sagen, dass wir sichtbar machen – für Kunden und für Personal. Wie du siehst, habe ich viel ausprobiert und immer viel gelernt. Nach außen klingt das manchmal echt nach vielen Schlangenlinien, aber im Grunde ziehen sich mehrere rote Fäden durch, und zwar die Themen Handel, nachhaltige Landwirtschaft & Lebensmittel sowie Online-Marketing. Und unterm Strich versuche ich einfach, diese verschiedenen Interessen in meinen Jobs ausleben zu können, was bisher gut funktioniert und Spaß macht!

Hattest du als Kind denn schon eine Vorstellung davon, welche berufliche Tätigkeit(en) du als Erwachsene*r gerne ausüben würdest?

Nein, das hatte ich nie.

Wie hast du dann letztendlich rausgefunden, welche Arbeit zu dir passt?

Ich habe es durch ausprobieren herausgefunden und ein bisschen durch Zufälle. Hier reingeschnuppert, dort einfach mal angefangen und mitgemacht, dieses getestet. Und dann schärfte sich das Profil für mich. Ich bin auch heute absolut offen für Neues und freue mich schon darauf, noch in vielen weiteren Jobs meine Expertise einbringen zu können und diese mit meinen Interessen zu kombinieren. Für mich sind es nicht die verschiedenen Berufsbezeichnungen, die immer gleich sein müssen. Es sollen vielmehr die Themen sein, die ich durch verschiedene Jobs von diversen Seiten kennenlernen darf.

Wie hast du als Jugendlicher den Einstieg ins Berufsleben erlebt? War es ein leichter Übergang oder eher eine Herausforderung?

Ich bin ja über die Familie meiner damaligen Freundin “reingeschlupft” und das war ziemlich cool und locker, da ich mir einfach aussuchen konnte, worauf ich Lust hatte. Dann habe ich Stück für Stück mehr Dinge getan und war am Ende für mehrere Bereiche, unter anderem den Einkauf, zuständig. Das konnte ich dann für den Ebay-Shop mitnehmen und habe auch heute dieses Gefühl von “einfach machen und ausprobieren, ob es funktioniert!”.

Erfüllt dich die berufliche Tätigkeit, die du momentan ausübst, oder würdest du dich gerne nochmal umorientieren, etwas anderes ausprobieren, neue Ideen umsetzen…?

Ich habe definitiv Lust, in meinem Leben noch vieles auszuprobieren und neue Ideen umzusetzen, denn die gehen mir nie aus. Beziehungsweise geht es vielmehr darum, existierende Ideen in anderer Form auszuprobieren. Denn nicht alles ist (finanziell) erfolgreich. Der Job als Projektmanager füllt mich auf jeden Fall sehr aus. Ich merke aber auch, dass er, selbst in Teilzeit, sehr kräftezehrend ist und mit viel Stress verbunden. Das liegt auch daran, dass ich als Mitinhaber viele Hüte aufhabe und mich um bedeutend mehr kümmern muss, als man es als Angestellter in der Regel tut (Akquise, Buchhaltung, …). Daher bin ich hier gerade am schauen, wie mein Job etwas weniger stressig werden kann. Das kann auch heißen, dass ich in ein anderes Unternehmen wechsle.

Bist du mit deinem momentanen Einkommen zufrieden? Und wie war das in der Vergangenheit, hast du dich da immer angemessen entlohnt gefühlt?

Aktuell bin ich damit definitiv zufrieden. Vor einigen Jahren hätte ich von diesem Gehalt nicht geträumt, aber ich habe über die Jahre viel Expertise gesammelt. Die letzten zwei Jahre als Unternehmer und Führungskraft waren ein unglaublich großes Lernfeld. Im Großhandel fand ich mich nicht korrekt bezahlt. Das lag aber weniger am Job selbst und mehr daran, dass mein Wissen und Können dort nicht gesehen wurde und ich dementsprechend eher für eine einfache Lagertätigkeit bezahlt wurde.

Was würdest du jungen Menschen raten, die gerade vor der Entscheidung stehen, ob sie einen formellen Schulabschluss machen sollen oder nicht?

Abschluss machen, denn er schadet nicht und macht vieles einfacher. Die Arbeit ist es wert, allein für das eigene Gefühl.

Was würdest du jungen Menschen raten, die noch keinerlei Ahnung haben, in welche berufliche Richtung sie gehen wollen?

Macht Praktika und fragt dort an, wo es interessant klingt. Und fangt damit so früh wie möglich an! Schaut, welche Unternehmen Praktika für bis zu 3 Monate anbieten und nutzt die Chance, denn in dieser Zeit kann man tolle Einblicke bekommen und ein richtiges Netzwerk knüpfen. Aber wichtig: Nicht abspeisen lassen als Kaffee-Praktikanten, sondern klären, wie beide Seiten davon profitieren können!

Wie ist es, wenn du im Rückblick auf deine bisherige berufliche Entwicklung schaust? Bist du zufrieden damit, wie es gelaufen ist, oder hättest du dir so manches anders gewünscht?

Ich bin zufrieden. Die Zeit im Großhandel war zu lang, aber das habe ich innerlich gebraucht, um den Sprung zu machen. Dafür war die Entwicklung im Anschluss umso schneller und spannender. Ich merke, wie mich jedes Berufsjahr heute reicher an Erfahrungen macht, und wie viel ich unterm Strich mitnehmen konnte bei all meinen Stationen.

Was sind deine beruflichen Pläne für die nächsten Jahre? Hast du überhaupt welche oder gehst du eher “mit dem Flow”?

Ich gehe definitiv mit dem Flow. Natürlich habe ich auch Pläne, aber das Wichtigste ist zunächst, dass ich Spaß bei der Arbeit habe, dafür fair bezahlt werde (nämlich so, dass ich es mir leisten kann, mit 26 Stunden pro Woche in denen ich Vollstoff gebe meine Ausgaben gut zu decken, denn die Zeit mit der Familie und meine Freizeit sind mir extrem wichtig), immer etwas Neues lerne und 100% Remote arbeiten kann. Einer meiner Pläne ist, den Onlineshop für Bio-Olivenöl in ein Infoportal umzuwandeln, welches sich dann hoffentlich finanziell besser auszahlt. Das Thema macht mir einfach riesig Spaß und es muss einen Weg geben, das ganze auch wirtschaftlich zu betreiben. Ansonsten bin ich völlig offen dafür, welche Jobs in Zukunft kommen und wo. Aktuell steht an, etwas weniger Komplexität in der täglichen Arbeit zu haben. Aber vielleicht juckt es mich in fünf Jahren auch wieder, ein Team komplett zu leiten.

Gibt es noch irgendetwas, das du unseren Leser*innen mitgeben möchtest?

Erfolg ist, was man selbst als solchen definiert. Es ist unwichtig, was die anderen denken, solange du selbst mit dem zufrieden bist, was du tust!

Dieser Artikel ist 2022 in Heft 95 – Abschlüsse und Berufswege erschienen