Erfahrungsbericht – Homeschooler in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ostbelgien

Text: Petra Frank, Ausgabe Nr. 84

Unser Sohn beendet aktuell bereits das dritte Schuljahr im Hausunterricht in Belgien. Zuvor besuchte er für wenige Wochen eine Grundschule in Deutschland, wurde dort jedoch zunehmend frustrierter und trauriger und wollte letztendlich lieber egal wo in dieser Welt leben, als noch eine Stunde in der Schule verbringen zu müssen. Er selbst sprach nicht mehr von der Schule, er sprach von einem Gefängnis.

Aus unterschiedlichen Gründen gingen wir nicht in die Diskussion mit den Behörden in Deutschland, sondern wählten den für uns persönlich einfacheren Weg ins benachbarte Ausland. Nach dem Besuch einer in der Deutschsprachigen Gemeinschaft lebenden Familie entschieden wir uns für diese Region in Belgien.

Anmeldung zum Hausunterricht

Die Erziehungsberechtigten haben in Belgien die Möglichkeit, sich wahlweise für den Unterricht ihrer Kinder in einer Schule oder zu Hause zu entscheiden.

Für die Einschreibung zum Hausunterricht ist ein Anmeldeformular auszufüllen und zusammen mit einigen im Antrag aufgeführten Dokumenten und einem individuellen Arbeitsplan beim Ministerium einzureichen.

Das Anmeldeformular findet sich im Internet, die weiteren Dokumente bestehen hauptsächlich aus Kopien der Ausweise, den Wohnsitzbescheinigungen der Gemeinden und eventuell vorhandenen Zeugnissen. Kurz vor dem Umzug nahm ich bereits per E-Mail Kontakt mit der zuständigen Ansprechpartnerin im Ministerium auf.

Individueller Arbeitsplan

Für den individuellen Arbeitsplan gibt es keine mir bekannte Vorgabe. Dieser Lehrplan muss nicht zwingend den Vorgaben des Lehrplans der Schulen folgen. Er ist individuell. Meine Arbeitspläne sind recht detailliert.

Konkret schaue ich, was meinen Sohn interessiert und wie ich dies den Fächern Deutsch, Mathe, Englisch, Französisch und Sachunterricht zuordnen kann. Ich schreibe seine Lernziele auf und wie diese erreicht werden sollen.

Im ersten und zweiten Schuljahr war das Interesse unter anderem für Dinosaurier recht groß. Dies konnte ich den Lernbereichen Deutsch, Mathe und Sachkunde zuordnen. Deutsch, denn er las die Namen und weitere Informationen über Saurier, schrieb auch mal den ein oder anderen Namen auf einen Zettel. Selbstverständlich war dann auch von Interesse, wann die Saurier lebten und wo Fossilien von den verschiedenen Sauriern gefunden wurden.

Dann zähle ich viele der genutzten Lernmittel auf. Die alltäglichen Lernmittel wie Gespräche, Spaziergänge, Einkäufe, das Kochen oder Backen etc. habe ich lediglich im ersten Schuljahr aufgezählt. Der Plan wird dadurch doch arg lang.

Wir sind sehr aktiv, gehen alle gerne in gute Museen mit Hands-On-Stationen. Und es gibt mittlerweile zu fast jedem Thema gute Museen. So nenne ich jeweils zu einem Thema exemplarisch ein gutes Museum. Zudem notiere ich exemplarisch Spiele, wie das Dinosaurier-Quartett welches wir immer noch ab und an nutzen, Besuche in der Bibliothek, Internetrecherche, Hörbücher und Dokumentationen als Lernmittel.

Obwohl die Ausarbeitung des individuellen Arbeitsplans bei mir schon einige Zeit in Anspruch nimmt, ist dieser für mich sehr wertvoll. Ich beschäftige mich ganz gezielt mit den Themen, die unseren Sohn interessieren. Bei dieser gezielten Suche entdecke ich immer wieder neue Spiele und Bücher und schöne Museen.

Die gewählten individuellen Lernziele sind teilweise aus dem passenden Schuljahr, teilweise aus den vier darüber liegenden Schuljahren, teilweise aus dem darunter liegenden Schuljahr. Teilweise sind diese Ziele gar nicht in den Lehrplänen vorhanden.

Regelmäßige Kontrolle des Hausunterrichts

Der Hausunterricht wird von der zuständigen Schulinspektion kontrolliert. Dazu bekommen die Familien ein oder zweimal im Jahr eine Einladung zu einem Kontrolltermin im Ministerium. Im ersten Gespräch werden zunächst die Regularien des Hausunterrichts besprochen. Die Kontrolltermine sowie Prüfungen zum Ende der Grundschule und der Unterstufe sind verpflichtend. Die erste Prüfung haben die jungen Menschen mit 11 Jahren.

Die Kontrolltermine sollen sicherstellen, dass die jungen Menschen sich gut entwickeln können. In Gesprächen werden die Themenbereiche der Bildung als auch der Sozialkompetenz erörtert. Die Schulinspektorin fertigt ein Protokoll an, welches der Familie danach auch zugesandt wird. Wenn Eltern nicht mit diesem Protokoll einverstanden sind, können sie dazu Stellung nehmen.

Wenn die Inspektorin den begründeten Verdacht hat, dass ein junger Mensch nicht die Voraussetzungen erhält, die es für eine gute Entwicklung braucht, dann kann eine Hausunterrichtskommission einberufen werden. Ebenso wird eine Kommission einberufen, wenn der junge Mensch auch beim zweiten Anlauf die Prüfung nicht bestanden hat. Diese Kommission besteht aus pädagogischen Fachkräften. Sie lernen die Familie kennen und entscheiden nach eingehender Prüfung dann darüber, ob der junge Mensch weiterhin schulfrei lernen kann oder verpflichtet wird eine Schule zu besuchen.

Unser erstes Gespräch im Ministerium werde ich nie vergessen. Vor diesem Termin war ich sehr nervös. In Deutschland ist schulfreie Bildung grundsätzlich nicht zulässig, und obwohl dies in Belgien zum Glück anders geregelt ist, konnte ich diese Nervosität nicht abstreifen. In dieser Situation habe ich versäumt, ausreichend Spielmaterial für meinen Sohn mitzunehmen. Dieser langweilte sich sehr, brummelte immer mal, jetzt gehen zu wollen. Ich bat ihn nach einiger Zeit, sich doch auch von seiner netten Seite zu zeigen. Er guckte mich an und stellte trocken fest:“ Du bist der Mittelpunkt meiner schlechten Laune!“ Es tat sich leider kein Loch im Boden auf, doch die Inspektorinnen schmunzelten zum Glück und eine von ihnen bemerkte, dass er sich ja wirklich gut ausdrücken könne für sein Alter. Ich ging deutlich entspannter nach Hause und fühlte mich angekommen. Seitdem habe ich einen großen Stapel Lustiger Taschenbücher dabei.

Die Schulinspektorin geht in jedem Gespräch die Lernbereiche als auch die soziale Entwicklung des jungen Menschen durch.

Unser Sohn arbeitet gerne mit dem Lernprogramm Scoyo, ein Spiellernprogramm im Internet, man kann in diesem Programm die gewünschte Jahrgangsstufe wählen. So kann er bereits in der Grundschulzeit die naturwissenschaftlichen Bereiche der 5.-7. Klasse durchspielen. Dort schreibt er auch gerne und macht wenig Rechtschreibfehler. Doch auf irgendwelchen Arbeitszetteln oder Lernheften schreiben mag er nicht. Dies erkennt man deutlich an der Handschrift. Hier fragt die Inspektorin nach, was er denn sonst gerne mit den Fingern mache, ob es eine Sache der Motorik sein könne. Nachdem ich erzählte, dass er gerne lötet, sägt oder knetet war es für sie ok. Er schreibe ja, nur eben nicht in einem Heft.

Diese Nachfragen empfinde ich als wohlwollend. Es wird nicht auf dem Schreiben im Heft beharrt, sondern auf die positive Entwicklung der Motorik geschaut. Mein Fazit ist, dass ich mir ein ähnliches System auch in Deutschland wünschen würde.

Die Anmeldung, der individuelle Arbeitsplan sowie die Gespräche im Ministerium empfinde ich als sehr positiv. Die Gespräche mit der zuständigen Inspektorin sind sehr gut, es geht um das Wohl der Kinder, nicht um Lerninhalte, die zum exakten Zeitpunkt im Kind sein müssen. Es ist für die Inspektorin selbstverständlich, dass für viele Kinder der Schulbesuch passt, aber das dies nicht auf alle zutrifft und für diese die Möglichkeit des Hausunterrichts wertvoll ist.

Der Ausspruch „Jeder Jeck ist anders.“ gilt hier also auch für Menschen zwischen 6 und 18 Jahren. Der Unwille zur Schule zu gehen macht keinen jungen Menschen zu einem Problemfall. Die Schulinspektorin schaut sehr genau und dabei wohlwollend auf den jungen Menschen. So wird gesichert, dass diese ihrem Unterrichtsrecht nachkommen können. Dies ist wichtig, denn es gibt leider auch Familien, in denen sind die Voraussetzungen nicht optimal. Und die Gesellschaft hat das Bildungsrecht der Kinder endlich zu sichern.

Allerdings würde ich mir wünschen, dass die Prüfungen freiwillig wären. Prüfungen setzen die Familien unter Druck. Eine gute Inspektorin kann sich in den Gesprächen ein sehr fundiertes Bild der Familie machen. Doch ein freiwilliges Angebot würde sicherlich von dem ein oder anderen jungen Menschen genutzt werden.

Dieser Artikel ist 2019 in Heft 84 – Schutz vor Isolation & Indoktrination erschienen