Die Social Innovation Academy (SINA) in Uganda

Text: Nina Downer, Ausgabe Nr. 83

Ich möchte Euch heute einen Bildungsort vorstellen, der mich, seit ich vor etwa vier Jahren das erste Mal von ihm gehört habe, bis heute immer wieder aufs Neue fasziniert: die Social Innovation Academy (SINA) in Mpigi, Uganda, Ostafrika.

Die Entstehung von SINA

Etienne Salborn aus Berlin absolvierte 2006/2007 einen einjährigen Freiwilligendienst im Waisenhaus Kankobe Children’s Home in Uganda. Als sich dort das elternlose Mädchen Anna an die Freiwilligen wandte, da sie sich Sorgen um ihre Zukunft machte, startete Etienne einen Sponsorenaufruf, um den Waisenkindern durch Schulpatenschaften größere Zukunftschancen ermöglichen zu können. In den nächsten Jahren folgten weitere Freiwillige aus Deutschland, die im Kankobe Children’s Home arbeiteten und die Kinder betreuten. Im Jahr 2009 beschlossen acht Gründungsmitglieder, den gemeinnützigen Verein Jangu e.V. zu gründen, um eine solide Grundlage für die Tätigkeit in Uganda zu schaffen und in Zukunft weitere Projekte starten zu können.

2013 bestand die erste Generation geförderter Jugendlicher aus Kankobe erfolgreich ihr Abitur. Eine weitere Förderung für die Universität oder Berufsschule konnte aber nur in Ausnahmefällen durch die Patenschaften getragen werden. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Uganda (laut Weltbank 83%) erschwerte die Jobsuche zusätzlich. Um einen Ausweg aus dieser Problematik zu finden, wurde in einem Open-Space-Workshop mit den AbiturientInnen und den Patenkindern in den höheren Klassen gemeinsam nach Lösungen gesucht. Es war ihre Idee, dem defizitären postkolonialen Bildungssystem, in Zusammenarbeit mit Jangu e.V., einen nachhaltigen Bildungsort hinzuzufügen. Einen Ort, an dem SchülerInnen zu UnternehmerInnen werden und ihre eigenen Arbeitsplätze schaffen konnten: Die Social Innovation Academy (SINA) war geboren.

Das Konzept

In der SINA werden benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 17 bis 27 Jahren (darunter z.B. Flüchtlinge, Waisen, ehemalige Kindersoldaten, Straßenkinder, Opfer von Missbrauch, ehemalige Häftlinge oder Jugendliche aus extremer Armut) in ihrer Gegenwart ohne Perspektiven abgeholt und bis zur nachhaltigen Selbstständigkeit gefördert. Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und können sich in einem sicheren und unterstützenden Umfeld ausprobieren und ihr Potenzial voll entfalten.

Auf diesem Weg können auch Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen ihre eigenen Arbeitsplätze schaffen. Durch Mentoren, Coaching und gegenseitige Unterstützung werden sie in die Lage versetzt, die persönlichen Tragödien ihrer Vergangenheit in eine Stärke umzuwandeln, soziale Probleme an der Wurzel zu packen und sich für systemischen Wandel einzusetzen. Spendenabhängigkeiten und die Mentalität der „ausgestreckten Hand“ werden hierdurch abgebaut und die jungen Erwachsenen gestalten ihre Zukunft in eigener Verantwortung und nach ihren eigenen Vorstellungen.

Die Social Innovation Academy wird komplett selbstverwaltet und jede StudentIn übernimmt ein paar der insgesamt 180 internen Positionen. Dadurch werden sie in die Lage versetzt, autonome Entscheidungen zu treffen, Teil eines Teams zu sein, Buchhaltung zu führen, mit Behörden und anderen Organisationen zusammen zu arbeiten und die Logistik zu organisieren. Die jungen Erwachsenen, die es bereits geschafft haben, ihre eigene schwierige Vergangenheit erfolgreich zu transformieren, übernehmen oft die Rolle als Life-Coach für die neuen StudentInnen und diejenigen, die bereits erfolgreiche Sozialunternehmen gegründet haben, geben ihre Erfahrungen als Startup-Mentoren innerhalb der Social Innovation Academy weiter.

Dies alles macht dieSINA zu einem einzigartigen Lernort, der alle nötigen Voraussetzungen schafft, damit aus benachteiligten Jugendlichen erfolgreiche Sozialunternehmer mit positiver Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft werden. Die AbsolventInnen verlassen die SINA nicht mit einem ausgestellten Diplom sondern stattdessen mit einem selbstgeschaffenen Arbeitsplatz in ihrem eigenen Unternehmen.

Upcycling als kreative Ressourcennutzung

Die Social Innovation Academy stellt allen StudentInnen ein Startkapital von bis zu 25 US-Dollar zur Verfügung, welches sie durch ihr Projekt versuchen zu vermehren, ohne dabei die soziale und ökologische Komponente zu missachten. Kostenlose Ressourcen spielen bei vielen Projekten eine wichtige Rolle: So wird beispielsweise Müll verwertet, um daraus Dinge mit Wert zu erschaffen (Upcycling). Da es in Uganda kein Müllentsorgungssystem gibt, sondern alles vor der Haustür verbrannt wird, ist dies außerdem ein wichtiger Beitrag zur Entlastung der Umwelt und zur Gesundheit der lokalen Bevölkerung.

Die Lernräume der Social Innovation Academy wurden (und werden auch weiterhin, denn SINA wächst kontinuierlich) durch Upcycling aus Plastikflaschen von StudentInnen und MentorInnen gemeinsam gebaut. Die Flaschen werden mit Lehm gefüllt, komprimiert und mit einer Schnur zu Wänden zusammengebunden. Anschließend werden die Lücken mit Lehm aufgefüllt und wie ein normales Haus verputzt. Nach dem Anstrich ist ein Haus aus Plastikflaschen optisch nicht mehr von einem herkömmlichen zu unterscheiden. Im Inneren herrscht konstant eine angenehme Temperatur von 22 Grad.

Durch den selbständig durchgeführten Bau kann Kreativität erlebt werden und es wird die vorherrschende Auffassung widerlegt, dass große Geldsummen notwendig sind, um ein Unternehmen zu gründen. Die Jugendlichen lernen, dass Geld nicht zwingend benötigt wird, sondern dass primär Ressourcen gebraucht werden, die oft rundum kostenlos verfügbar sind. Sie werden inspiriert, über das Konventionelle hinaus zu denken, Upcycling für sich zu nutzen und mit weiteren Ideen zu experimentieren. Das erste soziale Unternehmen, welches 2014 aus SINA hervorging, erfand Fußbodenlösungen aus Plastiktüten und Eierschalen, die auf internationaler Ebene Interesse erweckten und kontinuierlich weiterentwickelt werden (www.sengonzi.com). Weitere Teams arbeiten z.B. an der Herstellung von Schuhen und Schmuck aus alten Autoreifen und Stoffresten oder bauen Biogastoiletten, die tierischen und menschlichen „Abfall“ in Gas zum Kochen verwandeln.

Soziale innovative Unternehmen

Neben dem ökologischen Aspekt steht bei der Social Innovation Academy vor allem auch soziales Engagement im Vordergrund. Die von den StudentInnen gegründeten Unternehmen möchten mit ihren Produkten und Dienstleistungen eine Verbesserung innerhalb Ugandas oder sogar weltweit schaffen.

Ein tolles Beispiel hierfür ist das von Ruth Nabembezi gegründete Unternehmen Ask Without Shame (www.askwithoutshame.com). Ruth verlor ihre Eltern und ihre Schwester durch AIDS und wuchs im Waisenhaus in Kankobe auf. Sie wurde mit einer Bildungspatenschaft von 2008 bis 2015 von Jangu e.V. unterstützt. Nach Ende der Oberschule kam sie zur SINA und durchlief einen intensiven Transformationsprozess, um ihren Sinn im Leben zu finden und ihre eigenen Ziele zu setzen. Anstatt sich als Opfer zu sehen, schaffte sie es, ihre schmerzliche persönliche Tragödie als Stärke zu nutzen. Die Social Innovation Academy half ihr, ihr Potenzial zu entfalten und sie gründete Ask Without Shame, ein Sozialunternehmen, das sexuelle Aufklärung anonym per App und Hotline leistet. SINA hat Ruth in eine starke Führungspersönlichkeit verwandelt und heute inspiriert sie andere Jugendliche, vor allem Mädchen, mit ihrer Geschichte. Ask Without Shame beschäftigt zehn Jugendliche und Ruth gewann mehrere internationale Auszeichnungen. Das Angebot des Unternehmens umfasst mittlerweile neben der Beratung per Handy auch direkte Aufklärungsarbeit und die Ausbildung von jugendlichen BotschafterInnen an verschiedenen Orten in Uganda zu den Themen Sex, HIV, sexuell übertragbare Krankheiten, Verhütung, Schwangerschaft u.a.

Auch Joan Nalubega hat es dank SINA geschafft, Rückschläge in Stärken umzuwandeln. Als Waisenkind im Kankobe Children’s Home erkrankte sie oft an Malaria. Als Studentin an der Social Innovation Academy gründete sie ihr Unternehmen Uganics und begann natürliche Anti-Malaria-Produkte zu entwickeln. Für ihren umweltfreundlichen und langanhaltenden Mückenschutz in Form
einer Seife gewann sie 2018, im Alter von 21 Jahren, den mit 12.500 US-Dollar dotierten Anzisha Prize in Südafrika und erlangte internationale Anerkennung.

Weitere Beispiele von ökologisch nachhaltigen Sozialunternehmen, die in der SINA gegründet wurden, sind Gifted Hands Network, das Aufklärung über Brustkrebs betreibt und blinde Frauen zur Früherkennung von Brustkrebs per Abtasten ausbildet, und Kimuli Fashionability, in dem Menschen mit Behinderung Upcycling-Mode und -Accessoires herstellen.

SINA in Flüchtlingslagern

Ein ganz besonderes Projekt begann, als im Jahr 2016 drei junge Männer aus dem Flüchtlingslager Nakivale im Westen Ugandas in die Social Innovation Academy kamen. Durch die spezielle SINA Kultur gelang es ihnen, ihre schwierige Vergangenheit in Stärke zu transformieren und Eigenverantwortung zu übernehmen. Anschließend kehrten sie ins Flüchtlingslager zurück und schufen dort mit Unterstützung der Social Innovation Academy den Bildungsort OPPORTUNIGEE. Nach dem Vorbild von SINA wird auch OPPORTUNIGEE komplett selbstverwaltet, die StudentInnen sind ihre eigenen Chefs, erschaffen sich ihre eigenen Lehrpläne und suchen nach innovativen und nachhaltigen Lösungen für die Probleme in ihrer unmittelbaren Umgebung.

So gründete beispielsweise ein Team in OPPORTUNIGEE das Unternehmen Tusafishe, das kostengünstige und effektive Trinkwasserfilter auf Basis von Granitsand produziert, wodurch eine große Verbesserung des Gesundheitszustandes innerhalb des Camps erreicht werden konnte bei gleichzeitiger Schaffung einer Einkommensquelle für die jungen Unternehmer.

Heute nehmen über 40 junge Flüchtlinge in Nakivale ihre Zukunft selbst in die Hand und auch innerhalb anderer Flüchtlingslager in Uganda und in der Demokratischen Republik Kongo entstanden neue SINA Bildungsorte. Die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) hat vor kurzem die SINA Loketa im Bidi Bidi Flüchtlingslager mit ihrem Innovation Award ausgezeichnet und die ugandische Regierung hat eine offizielle Partnerschaft mit der Social Innovation Academy für die Gründung und Unterstützung von Bildungsorten nach dem Vorbild der SINA in verschiedenen Flüchtlingslagern des Landes abgeschlossen.

Mitmachen und unterstützen

Die Social Innovation Academy sucht immer wieder Freiwillige in den Bereichen Business und Management, Mentoring und Startup sowie Psychologie, die für mindestens 6 Monate unterstützend in Uganda mitarbeiten wollen. Auch von Deutschland aus ist Unterstützung möglich, z.B. beim Website-Management, Fundraising, bei Ständen auf Veranstaltungen und durch Coaching von Projekten in Uganda über Skype.

Desweiteren besteht die Möglichkeit von Praktika oder Freiwilligenarbeit auch direkt in einzelnen Sozialunternehmen, die aus SINA hervorgegangen sind und nun selbständig agieren.

Wer in die Social Innovation Academy kommen möchte, um selbst ein eigenes Unternehmen zu gründen, kann sich für eine der dreimonatigen Purpose Safaris bewerben. Die internationalen Teilnehmer sind während dieser Zeit Teil der einzigartigen Lernkultur und Gemeinschaft an der SINA und werden sich mithilfe der dort vorhandenen Strukturen und Ressourcen ihrer persönlichen Potenziale und Ziele bewusst und starten in die eigene Selbständigkeit.

Außerdem bietet die Social Innovation Academy nachhaltigen Tourismus mit Übernachtung in den Upcycling-Hütten des SINA Village und Einblick in den Lernalltag an der SINA an. Das Projekt HAPITOURS, vom SINA-Studenten Roger Etimu gegründet, organisiert ökologisch und sozial verträgliche Ausflüge und Safaris innerhalb Ugandas und Ostafrikas.

Wenn ich jemals nach Uganda reisen werde, dann steht die Social Innovation Academy jedenfalls ganz oben auf meiner Liste von Orten, die ich besuchen möchte. Selten hat mich ein Projekt so in den Bann gezogen und auch nach mehreren Jahren nichts von seiner Faszination verloren, sondern im Gegenteil inspiriert mich jede neue Idee und jedes neue Unternehmen, das dort gegründet wird, noch mehr. Ich fände es wunderbar, wenn Jugendliche und junge Erwachsene auch an anderen Orten der Welt dieses großartige Konzept aufgreifen und sich ihre eigenen innovativen und ökologisch und sozial nachhaltigen Bildungsorte schaffen. Ganz nach dem Motto von SINA: “freesponsible education” – je mehr Verantwortung man übernimmt, desto mehr Freiheit gewinnt man und kann seine eigene Gegenwart und Zukunft gestalten.

Mehr Infos gibt es auf www.socialinnovationacademy.org (englisch) und www.jangu.org (deutsch).

Weitere Links zum Thema:

www.ecoversities.org

www.challenges.openideo.com/challenge/bridgebuilder2/improve/social-innovation-academy-sina

Dieser Artikel ist 2019 in Heft 83 – Bildungsorte erschienen