Der FreiLernRaum: Ein Begegnungsort für Kinder, die frei lernen dürfen

Ein Bericht über den FreiLernRaum im schweizerischen Bern

Text: Regina Wittwer

Seit bald sieben Jahren beschäftigen wir uns als Familie mit dem freien Lernen. Wobei unsere älteste Tochter nach vier Jahren auf eigenen Wunsch in die öffentliche Schule wechselte, während ihre beiden jüngeren Geschwister bis heute den Weg des freien Lernens bevorzugen.

Für uns Eltern war von Anfang an klar, dass wir für die Umsetzung unserer Vorstellungen des freien Lernens auf ein Netzwerk angewiesen sind. Wir fanden in der näheren Umgebung Familien mit ähnlichen Plänen und bildeten zusammen eine kleine, lokale Lerngruppe, die nun seit sieben Jahren besteht. Daneben nutzt das ältere unserer beiden freilernenden Kinder seit einem Jahr regelmässig den FreiLernRaum in Bern. Mit dessen Eröffnung im August 2016 ist der Lernalltag für uns noch vielfältiger geworden. Die thematischen Inputs sowie die Begegnungsmöglichkeiten haben sich vervielfacht. Ressourcen können gemeinsam genutzt und angeboten werden. Unterschiedliche Menschen aus allen Himmelsrichtungen mit einem gemeinsamen Thema finden zusammen.

Einmal die Woche nimmt unsere Tochter selbständig den Zug nach Bern in den FreiLernRaum. Dort angekommen verschafft sie sich als erstes einen Überblick darüber, wer alles da ist und begrüsst LernbegleiterInnen und FreundInnen. Zeit zum Akklimatisieren. Der gemeinsame Start beginnt im Kreis, wo alle einander mitteilen, was sie an diesem Tag tun werden. Einige haben sich vielleicht für einen Workshop angemeldet, andere sind mit einem eigenen Projekt beschäftigt, wieder andere wollen spielen. Der FreiLernRaum befindet sich in den Räumlichkeiten des »Chinderchübu«, einem Freizeittreff für Schulkinder. Hier kann man sich in die Leseecke zurückziehen, in den Werk- und Bastelräumen arbeiten, sich am grossen Tisch in Begleitung des Lerncoaches mit verschiedenen Lernmaterialien beschäftigen, draußen oder drinnen im Mattenraum herumtoben und vieles mehr. Zum Mittagessen treffen sich alle wieder an einem Tisch. Dieses gemeinsame Erleben und Tun hat eine ergänzende Qualität und befruchtende Auswirkung auf das freie Lernen in der Familie.

Wie das freie Lernen in den verschiedenen Familien gehandhabt wird, ist unterschiedlich. Den Weg zwischen Struktur und Freiheit, äußeren Inputs und intrinsisch motiviertem Lernen muss jede Familie selbst für sich entdecken. Dies ist immer wieder neu ein individueller, sich wandelnder Prozess, in dessen Verlauf sich zwei Dinge als grundlegend wichtig hervorgehoben haben: Aufmerksamkeit und Vertrauen.

Der Artikel ist 2017 in Heft 76 – Postfaktisch – Was schafft Realität? erschienen.

Unvoreingenommen aufmerksam an der unmittelbaren Umwelt Anteil nehmen, sich auf sie einlassen, ohne bezüglich Lernpotenzial Qualitätsurteile zu fällen, entspricht dem kindlichen Spiel, welches direkt in den Stoff hinein führt, der im Moment relevant ist, um die nächsten Lernschritte zu vollziehen. Freies Lernen geschieht aus der Situation heraus und drückt sich in der Aussage aus: »ich weiss, dass ich die Lösung nicht wissen kann, bevor ich sie gefunden habe«. Das Vertrauen der Eltern ins Lernen ihrer Kinder ist die Grundlage für das Selbstvertrauen und das Lernen der Kinder selbst. Somit ist Vertrauen Ausgangslage und Resultat zugleich.

Über den eben beschriebenen Prozess hinaus muss auch die organisatorische Struktur geschaffen werden, in der sich freies Lernen entfalten und ausleben kann. Unser Alltag ist ein Zusammenspiel aus Voraussetzungen und Bedürfnissen, die in einem ausgewogenen Gleichgewicht gehalten werden müssen: Den Lebensunterhalt verdienen, die Präsenz-Zeiten organisieren, mit Ausgaben für Bildung jonglieren, die Bedürfnisse aller Familienangehörigen berücksichtigen, den Anforderungen der Schulbehörden gerecht werden, als Individuen innerhalb der Gesellschaft einen Platz finden, mit Unsicherheiten umgehen und nicht zuletzt die Beziehung untereinander pflegen und aufrecht erhalten, sind nur einige der täglichen Herausforderungen.

Die Kunst, dieses Gleichgewicht zu halten, besteht darin, einen gewissen Bewegungsspielraum zu haben, innerhalb dessen man seinen Schwerpunkt verlagern kann.

Hier sehe ich das herausragende Potential des FreiLernRaums. Er erweitert die familieninternen Möglichkeiten und schafft mehr Spiel- und Gestaltungsraum, indem er Synergien nutzbar macht und für verschiedene Bedürfnisse Hand bietet. Für das Bedürfnis der Kinder z. B., sich als Teil einer Gruppe zu erleben, Bekanntschaften zu schließen und mit- und voneinander zu lernen, oder das Bedürfnis der Erwachsenen, Erfahrungen auszutauschen und Zeit für sich, eigene Projekte und Verpflichtungen zu gewinnen.

Es ist nicht die Rolle des FreiLernRaums, die Verantwortung für die Bildung voll und ganz zu übernehmen. Diese bleibt bei den Eltern. Aber als eine neue, erweiterte Möglichkeit im Sinne eines Angebots von und für Eltern, deren Kinder frei lernen dürfen, ist es mehr als wünschenswert, dass der FreiLernRaum weiter wachsen und gedeihen wird!


Der FreiLernRaum ist ein Begegnungs- und Lernort für motivierte Menschen. Lernen heißt für uns entdecken und aktiv handelnd die Welt verstehen. Im FreiLernRaum können Jung bis Alt von und miteinander lernen, gemeinsame Projekte realisieren, geplante Workshops besuchen oder einfach zusammen spielen, kochen, austauschen. www.freilernraum.ch