»Auch hier lernen wir frei«

Erschienen 2012 in Heft 57 – Freilerner in Europa.

Hallo,
ich bin Louisa. Im Mai werde ich 13 Jahre alt. Ich lebe in Baden-Württemberg, mit meinen Zwillingsschwestern die im Mai 11 Jahre alt werden. Meine Mutter ist aus Amerika und kannte daher Home Education schon lange, und sie hat meinen Vater versprechen lassen, dass ihre noch ungeborene Kinder nie zur Schule gehen müssten, außer wenn wir wollten. Als ich dann schulpflichtig war, hat Mama alle Schulen in unserem Umkreis besucht und geschaut ob irgendwas für uns dabei wäre. Meine Freunde waren alle in der Schule, und ich wollte auch unbedingt gehen. Meine Eltern haben sich für die Waldorfschule entschieden, und dort ging ich dann ein Jahr hin. Aber wir haben dann bemerkt, dass das auch nicht unser Ding ist. Und so ging ich dann nach den Sommerferien nicht mehr in die Schule.

Wir haben für eine lange Zeit nichtschulisch gelernt. Während dieser Zeit habe ich viel mit meinen Schwestern und meinen Freunden gespielt, und Mama hat uns viel vorgelesen. Mit 5 hatte ich schon angefangen im Kinderchor mit zu singen. Jetzt singe ich Sopran im Jugendchor. Freunde von uns haben mich mit zum Schwimmverein genommen als ich 7 war, und ich schwimme immer noch jeden Montag. Als ich 7 einhalb war haben wir alle angefangen Sopranflöte zu spielen.

An meinem 8. Geburtstag ging ich zum ersten Mal zur Jugendfarm. Seither gehe ich 3 Mal die Woche. Unsere Jugendfarm ist die einzige in Baden-Württemberg wo nur Ehrenamtliche arbeiten. Sie hat 3 Mal die Woche offen. Die Kinder und Jugendlichen machen die meiste Arbeit, und die Betreuer kümmern sich um Sicherheit und Finanzen. Für die Tiere haben wir viel Verantwortung. Wir haben Pferde, Hasen, Mehrschweinchen, Ziegen, Gänse, Hühner, Schafe, Katzen, Alpakas, und ein Lama. Früher hat Mama uns immer mit dem Auto gefahren, aber jetzt fahren wir oft die 17 km pro Richtung mit dem Fahrrad. Ich war eine der jüngste Farmkinder die jemals die Freireiterprüfung bestanden hat.

Mit 9 fing ich an klassische Gitarre zu spielen. Meine Schwester, Merle, war damals 7 und wollte unbedingt Klavier spielen. Da mein Lehrer auch Klavierstunden gibt, durfte sie auch bei ihm anfangen. Joao fand den Lehrer so toll, dass sie sich für sein 3. Instrument, die Klarinette, entschied. Wir spielen alle immer noch und teilen zusammen einmal die Woche Zeitung aus, um den Unterricht mit zu bezahlen. Joao darf schon in der Jugendkapelle des Musikvereins unseres Nachbar Dorfes mitspielen. Das macht ihr so viel Spaß, dass sie uns angesteckt hat. Ich habe dann Cello dazu angefangen, damit ich in einem Orchester mitspielen kann. Es ist jetzt genau ein Jahr das ich Cello spiele. Da die meisten Kinder mit 6 Jahren anfangen, bin ich etwas hinterher, aber mein Alter ist auch ein Vorteil, da ich schneller voran komme als es jüngere Kinder tun. Mein Lehrer meint, dass ich jetzt in einem halben Jahr genauso gut spielen werde wie meine Altersgenossen. Weil Merle auch in einem Ensemble spielen will, hat sie jetzt die Oboe dazu genommen. Zusammen spielen wir dann 5 Instrumente, wobei Merle Joao und mir zeigt, wie man Klavier spielt.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich nicht in die Schule gehen muss, da wie ich es bei meinen Freundinnen sehe, ich sonst keine Zeit hätte, all diese Sachen zu machen. Da wir eine so lange Zeit wenig wie in der Schule gelernt haben, bin ich in Mathe etwas hinterher. Auch kann ich nicht so schnell schreiben wie es viele Kinder in der Schule können. Um das aufzuholen, stehe ich in letzter Zeit zwischen 6 und 7 Uhr auf und setze mich sofort ans Lernen. Im Moment arbeite ich vor allem an Mathe, was mir jetzt sehr leicht fällt. Ich habe zwar erst mit 9 Jahren angefangen zu lesen, aber ich lese sehr viel und sehr gerne in Englisch und Deutsch. Im Moment lese ich hauptsächlich historische Romane über Deutschlands Geschichte und über Nationalsozialismus. Da meine Eltern schon immer politisch aktiv sind, bin ich mit politischen Auseinandersetzungen aufgewachsen und interessiere mich auch dafür. Meine Schwestern lesen jetzt die Harry Potter Bücher und andere Fantasie Bücher, aber die habe ich alle schon gelesen. Ich lerne auch manchmal Gemeinschaftskunde für den Hauptschulabschluss.

Ein Familienfreund von uns ist frei arbeitender Pädagoge und mit ihm machen wir manchmal tolle Projekte in verschiedenen Schulen oder wo anders. Manchmal gehen wir in die Volkshochschule oder zu eine Freundin die Weberin ist um Handarbeit zu lernen. Ich habe einige Freunde die auch nicht in die Schule gehen, aber auch viele Freunde die die Schule besuchen. Jetzt darf ich 3 Wochen mit Mama in die USA gehen. Dass dürfte ich nicht wenn ich in der Schule wäre. Ich werde aber jede Menge dort lernen. Wir haben Glück gehabt mit den Behörden, weil für uns das freie Lernen genau das richtige ist.

Louisa Weißhaupt

Freie Apfelernte»Ich kenne die 3 freilernenden Kinder Louisa, Joau und Merle seit mehreren Jahren und bin immer wieder fasziniert von ihrer Begeisterung, Energie, Entschiedenheit und Einzigartigkeit. Seit geraumer Zeit biete ich ihnen an, bei geeigneten Möglichkeiten mitzumachen, sei es bei Projekten in verschiedenen Schulen, die ich betreue oder – wie in diesem Falle – die Apfelernte auf einem kleinen Demeterobsthof zu erleben. Einfach engagierte Menschen, anregende Umgebungen und spannende Inhalte zu eröffnen, zum Mitmachenwollen und Fragestellen anregen. Umfassende und gute Lernerfahrungen sind dann einfach nicht mehr zu verhindern…«

Christoph Schulz, Nordheim