Eine Atmosphäre der Gemeinschaft

Erschienen 2012 in Heft 57 – Freilerner in Europa.

Wir leben in Krakau, Polen, und bei der Bildung unseres älteren Sohnes kamen ein paar größere Herausforderungen auf. Er zeigte eine hohe Begabung in Musik, aber kein Interesse an anderen Schulfächern, vor allem Mathematik. Im Bildungssystem mussten wir dem Nationalen Lehrplan folgen, der annimmt, dass alle Kinder mehr oder weniger gleich sind und von Jahr zu Jahr dem gleichen Muster folgen müssen. Es ist egal, ob man andere Bedürfnisse hat. Man muss diesem System gehorchen, das sich selbst das Recht gegeben hat zu bestimmen, wer schlau ist und wer nicht, wer es verdient hat im nächsten Jahr aufzusteigen, und jegliche Ausnahmen, so wie andere Begabungen und Vorlieben, die nicht dem Standard entsprechen, wurden abgelehnt. Man kann sehr gut in Musik sein, aber wenn man nicht in ALLEN Schulfächern den Standard erreicht, sind die eigenen Begabungen nicht von Bedeutung. Nachdem wir einige Jahre für unser Recht, unseren eigenen Bedürfnissen nachzukommen, mit dem System gekämpft hatten, gaben wir letztendlich auf. Wir gingen zu Home-Schooling über.

Die meisten Probleme verschwanden dann – unser Kind hatte mehr Zeit für Musik und wurde deutlich glücklicher. Nach einem Jahr Home-Schooling wurde uns klar, dass wir als Eltern und Kinder, außer einer guten Bildung entsprechend den eigenen Begabungen und Bedürfnissen, noch etwas anderes brauchten. Wir mussten uns mit anderen Menschen, Kindern und Erwachsenen, treffen, die nicht nur ähnliche Interessen, sondern auch die gleiche Einstellung zu Bildung haben. Wir fingen an zu Konferenzen und verschiedenen Veranstaltungen zu gehen, um andere Home-Schooler zu treffen, Ideen auszutauschen und einfach auch andere Leute zu treffen. Es war eine großartige Erfahrung diesen Leuten zu begegnen und von ihnen zu lernen. Wir gehen immer noch zu diesen Treffen in Polen und anderen Ländern und werden es auch weiterhin tun, da wir glauben, dass reisen und sich in ungewohnte Situationen zu begeben für jeden Menschen ein wichtiger Teil der Bildung ist. Aber Menschen – und ich glaube besonders Home-Schooler – können nicht einfach warten, weshalb wir immer noch nach mehr suchten.

Unsere von zu Hause aus lernenden Kinder (unser jüngerer Sohn beschloss sich unserem älteren beim Home-Schooling anzuschließen) hatten das Bedürfnis nach einer Gruppe, mit der sie sich identifizieren können. Dieses Bedürfnis ist besonders als Jugendlicher wichtig, wenn man über seine Gefühle reden und sich als Teil einer Gruppe fühlen will. Gleichzeitig gibt es, wenn ein Kind seine Interessen findet und entscheidet welche Fertigkeiten es ausbauen will, ein Bedürfnis mit einem Meister zu arbeiten, der einen im Fortschritt begleiten und auch führen kann.

Einzelne Veranstaltungen zu besuchen scheint nicht genug zu sein. Wenn ein Junge oder ein Mädchen sagt, dass es Musik oder z.B. Fotografie mag, muss er oder sie mehrere Veranstaltungen besuchen, um neue Fertigkeiten zu entwickeln.

Da wir dies beobachteten und wussten, beschlossen wir eine Art Verein zu gründen, in dem man sich lokal mit einer Gruppe von Home-Schoolern treffen kann, die zusammen ein paar regelmäßige Aktivitäten veranstalten (Brettspiele, Vorträge, Kunsttreffen, usw.). Die Kinder können kommen oder gehen, wann sie wollen. Das Wichtige ist, dass man den Kindern die Möglichkeit gibt, sich mit jemandem zu treffen, der ein Meister seines Faches ist, und von ihm zu lernen. Nicht ein Lehrer sondern ein Meister (das kann natürlich ein Lehrer in seinem Fachgebiet auch sein) – Kinder, manchmal mit ihren Eltern, besuchen diese Treffen und bauen ihre Talente aus.

Die Idee dabei ist, die Tendenz umzukehren, seine Kinder in irgendeiner staatlichen oder privaten Institution (egal ob bezahlt oder kostenfrei) abzugeben, von der man glaubt, dass sie den eigenen Kindern gut tut und einem mehr Zeit zum Arbeiten lässt. Der Trick ist in diesem Fall, das Gegenteil zu tun, also so viele Aktivitäten wie möglich zusammen als Familie zu organisieren und sein Kind nicht in eine Institution zu schicken.

Nebenbei haben wir noch ein Projekt gegründet, das wir »50+« genannt haben. Hier ist die Idee, die dritte Generation – also die der Großeltern – zu engagieren. In der Bildung wird oft bloß die Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind berücksichtigt. Die dritte Generation hat ein großes Potential, was aber oft außer Acht gelassen wird. Wir laden ältere Familienmitglieder ein, Kurse zu organisieren, in denen sie gegenüber den Kindern die Rolle der Meister übernehmen.

Wenn man einen Platz hat, wo alle sich um einen Tisch versammeln können, hat man eine Atmosphäre der Gemeinschaft, in der alle Familien und Individuen, egal welchen Alters, voneinander lernen können. Hier in Krakau starteten wir diese Art Verein, in dem einige regelmäßige Aktivitäten mit der Idee des Drei-Generationen- Treffens verbunden sind.

Es scheint für unsere Kinder und uns persönlich als Eltern zu funktionieren und wir werden weiterhin daran arbeiten, dieses Projekt auszubauen. Auf diesem Weg können wir die Idee der freundlichen Drei-Generationen-Sozialisation zusammen mit regelmäßigen Aktivitäten realisieren, um besondere Begabungen der Kinder zu entwickeln.

Wir tun dies hauptsächlich für lokale Home-Schooler und auch einfach für alle, die an freier Bildung interessiert sind, aber nebenbei treffen wir Leute aus anderen Teilen Polens und aus anderen Ländern. Im Juni und Juli haben wir uns hier auch mit Familien aus, glaube ich, sieben Ländern getroffen, von ihnen gelernt und versucht, ihren Lebensstil zu verstehen.

Autor: Zbyszek Borys
Übersetzer: Josias Kern