Zeit für Commonist*innen!

Commons sind in aller Munde – als zentraler Begriff spielen sie im Diskurs um alternatives Wirtschaften eine bedeutende Rolle. Wieso sind Commons so im Kommen? Ist die Idee dahinter neu und unbekannt oder gab es vielleicht sogar schon früher gemeinschaftlich organisiertes Zusammenleben und solidarisches Miteinander? Wer sagt eigentlich, dass homo oeconomicus und auf Konkurrenz basierender Kapitalismus natürlich sind – sprich schon immer da waren? Dass wir eben von Natur aus individuelle Nutzenmaximierer*innen sind und keine kooperativen, sozialen Wesen?

Erschienen 2016 in Heft 70 – Was wollen wir künftig?.

»Die Welt ist was Gemachtes«, singt Dota in ihrem Lied »Utopie«. Wir können sie selbst (mit-)formen. Die starr vorgegebenen Denkmuster von »Eigentum«, »Arbeit« und »Leistung« können wir Schritt für Schritt durchbrechen, sie neu denken und anders leben! Klar existiert das große Spielfeld des Kapitalismus weiter, doch wir können versuchen, so gut wie möglich anders zu spielen – Spielregeln zu brechen, neu aufzustellen und vermehrt zu kooperieren, statt gegeneinander zu zocken.

Was sind Commons?

»Der Begriff Commons bezeichnet ein Beziehungssystem zwischen Menschen und Dingen, das auf verschiedenen Prinzipien […] und auf selbstbestimmten Regeln basiert. Commons bezeichnet nicht die Ressource selbst, sondern vielmehr eine bestimmte Art des Umgangs von Menschen miteinander und mit Ressourcen«, schreibt das Commons-Institut auf seiner Website. Um es noch anschaulicher zu machen: Alles kann im Grunde (und sollte nach Perspektive der Commonist*innen) Commons sein.

Charakteristisch für Commons sind drei Grundbausteine: Die Ressource selbst (also der Wald, das Meer, das Ackerland, … ), die Menschen beziehungsweise die Community und zuletzt die gemeinsamen Regeln, die den Umgang der Community mit der Ressource festlegen. Bei letzteren geht es vor allem um gerechten Zugang sowie gemeinsames Kümmern um den Erhalt und die Vermehrung einer Ressource.

Die Kernfrage ist: »Was wird zum Leben gebraucht und wie können wir das gemeinschaftlich, solidarisch organisieren?« – und nicht wie in der Marktwirtschaft: »Was lässt sich verkaufen? Wie kann ich den größten Gewinn erzielen und den höchsten Nutzen erhalten?«

Der soziale Prozess in der Community nennt sich Commoning – Dabei geht es darum, einen gemeinsamen Konsens zu finden, auf welche Empfehlungen,  Richtlinien – oder, um das strikte Wort zu verwenden, das ich eigentlich nicht mag – Regeln mensch sich im Umgang mit den jeweiligen Ressourcen einigt.

Das richtige Leben im Falschen?

»Letztendlich ist es auch eine Frage, was naiver ist: zu glauben, aus der kapitalistischen Logik ganz ausbrechen zu können oder diese für zähmbar zu halten«, schreibt die Ökonomin und Aktivistin Friederike Habermann in ihrem aktuellen Buch »Ecommony: UmCARE zum Miteinander«. Es ist keine Frage, dass sie letzteres blauäugiger findet und damit für eine nichtkapitalistische Gesellschaft plädiert.

Denn: So wie wir momentan leben, kann es nicht weiter gehen – das zeigt sich allein schon auf ökologischer Ebene (bspw. Ökologischer Fußabdruck). Wer das bestreitet, ist zweifelsohne naiv. Ebenso scheint es naiv zu glauben, dass Realpolitik die Probleme der Welt ernsthaft lösen wird. Der Soziologe Harald Welzer schreibt dazu passend: »Das heißt, was im Moment Realpolitik ist, ist Illusionspolitik, und was Utopismus ist, ist Realismus – weil utopisches Handeln bzw. eine utopische Handlungsmaxime sind insofern ja realistisch, als sie davon ausgehen, so wie jetzt können wir einfach nicht weitermachen, und es muss einen ganz fundamentalen Wandel geben, und zwar keinen Wandel […] im Kontext bestehender Praktiken, sondern was wir brauchen ist eine Veränderung des Rahmens selber, der Praktiken selber.«

Natürlich ist ein »richtiges« Leben im falschen nicht möglich, da das »Falsche« allumfassend ist, durchsickert bis in alle Lebensbereiche. Dennoch macht es uns nicht handlungsunfähig. Das »Falsche« zu überwinden und so »richtig« wie möglich zu leben sollte Motivation genug sein. Commonist*innen sehen Commons und Commoning nicht als Addition, als nette Ergänzung zum Kapitalismus, sondern als die Grundlage eines gänzlich anderen Gesellschaftsmodells, als eine Möglichkeit sich jenseits von Markt und Staat zu organisieren. Ganz schön groß gedacht? Stimmt. Doch große Veränderungen haben wir auch dringend nötig! Und im Kleinen lässt sich dennoch ansetzen.

Ecommony – eine Gesellschaft struktureller Gemeinschaftlichkeit

Friederike Habermann skizziert eine solche Gesellschaft, die unter anderem auf Commons und Commoning beruht, in ihrem aktuellen Buch – das übrigens auch commons ist 😉 – und führt den Begriff »Ecommony« ein. Er soll deutlich machen, dass es eben nicht um eine Verschönerung oder Begrünung kapitalistischer Strukturen geht, sondern Gesellschaft im Ganzen – Leben und Wirtschaften – neu gedachte werden sollte.

Friederike Habermann fasst vier Prinzipien zusammen, die wie sie schreibt, viele Initiativen, die sich mit sozio-ökonomischen Alternativen beschäftigen, schon leben oder versuchen zu leben – vielleicht ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

Commonserschaffende Peerproduktion

Diese Prinzipien entsprächen im Wesentlichen auch der commonsbasierten oder -erschaffenden Peerproduktion. Das ist die Idee einer solidarischen Art wirtschaftliches Miteinander zu gestalten. Es geht dabei um ebenbürtiges (peer) Miteinander im gemeinsamen Tun. Beispiele für digitale Commons sind hierbei Linux oder die virtuelle Enzyklopädie Wikipedia, welche von freiwillig Beitragenden gemeinsam erschaffen wurden. Sprachlich unterscheiden lässt sich noch zwischen den Begriffen »commonsbasiert« und »commonserschaffend«. Die Commonsaktivistin Silke Helfrich führte letzteren Begriff ein, um deutlich zu machen, dass bei gemeinsamem, ebenbürtigen Erschaffen von Dingen, die gebraucht werden, das kooperative Sorgen und Verwalten dieser Ressource keine minder große Rolle spielen sollte. Denn auch die Ausbeutung von Ressourcen, wie bspw. Ozeanen, die in keinem Eigentum stehen, könnte als »commonsbasiert« bezeichnet werden. Der US-amerikanische Historiker Peter Linebaugh sagt hierzu passend: »There is no commons without commoning«

Die vier Prinzipien

Die Prinzipien einer Ecommony, von denen Friederike Habermann spricht, sind folgende (wobei sie nicht statisch voneinander abgrenzbar sind, sondern ineinander übergehen)

1. Besitz statt Eigentum

Hier geht es um folgende Unterscheidung: »Besitz« heißt, dass du über ein Objekt verfügst, das heißt, es aktiv nutzt. Es beschreibt also eine soziale Beziehung einer Person zu einer Sache. So lange etwas aktiv von einer Person genutzt wird, wird der Besitz nicht in Frage gestellt. Wenn es nicht mehr gebraucht wird, kann überlegt werden, ob das Gut »aus dem Besitz fällt« und von anderen genutzt werden kann, bevor es sinn- und nutzlos verstaubt.

»Eigentum« hingegen stellt das Recht dar, andere vom Gebrauch auszuschließen beziehungsweise ein Gut in eine Ware umzuwandeln, indem es verkauft und Profit daraus geschlagen wird. Bei »Commons« – um Missverständnisse zu vermeiden – geht es nun nicht darum, dass alle Menschen zu jeder Zeit das Anrecht auf alle Commons haben. Das würde unweigerlich zu Chaos und Übernutzung führen (deswegen ist das »Commoning«, die soziale Interaktion, ja so zentral).

2. Teile, was du kannst.

Das Prinzip spricht eigentlich für sich. Hier geht es zum einen um eben erwähnte nicht mehr gebrauchte Güter. Dinge also, die nicht mehr genutzt werden und die für eine andere Person nützlich sein können. Ebenso geht es um Wissen, Fähigkeiten und Talente, die sich – im Gegensatz zu Dingen – sogar durch das Teilen multiplizieren! Du kennst vielleicht das »Skill Sharing« oder den »Open Space«, wodurch das Prinzip auf Camps, Kongressen oder anderen Versammlungen schon aktiv gelebt wird. Zentral für die ersten beiden Prinzipien ist auch die Suffizienz, die Genügsamkeit, die mit der Frage verbunden ist: Was brauche ich eigentlich wirklich (für ein ‘gutes Leben’)?

3. Beitragen statt tauschen

»Entscheidend ist das Tätigwerden aus innerer Motivation bei gesichertem Ressourcenzugang, um auf diese Weise unsere Lust und unser Bedürfnis, uns in dieser Welt vielfältig zu betätigen und zu verwirklichen, zu befreien«, schreibt Friederike Habermann dazu in »Ecommony: UmCARE zum Miteinander«

Dieses Prinzip beschreibt im Grunde eine neue Beziehung zur ‘Arbeit’ – und, weil dieser Begriff so negativ konnotiert ist (bspw. »Ich muss zur Arbeit«), können wir ihn gleich mal ersetzen durch ‘Tätigkeit’. Die Annahme, Menschen seien schlichtweg faul und unproduktiv, wenn sie nicht mehr arbeiten müssten, gilt es zu überwinden. Auch als Menschen noch kein Geld dafür bekommen haben, wurden all jene Tätigkeiten verrichtet, die zum Überleben, für ein gutes Leben, notwendig sind. Wieso also glauben wir, dass Menschen, wenn sie nicht mehr dazu gezwungen werden, aufhören würden, aktiv zu sein?

»Ich teile daher nicht die Sorge, gerade jene Tätigkeiten, die die Produktion des Lebens zum Inhalt haben, würden übrig bleiben, wenn Menschen ihre Tätigkeiten frei wählen könnten«, so die Sozialwissenschaftlerin Brigitte Kratzwald. Und weiter: »Menschen haben nicht nur konsumtive, sondern auch produktive Bedürfnisse. Es schafft Befriedigung, etwas zur  Gesellschaft beitragen, die Gesellschaft mitgestalten zu können – vorausgesetzt, man macht es unter frei gewählten und angemessenen Bedingungen und erfährt die entsprechende Anerkennung für das, was man tut.«

Wichtig ist hierbei, dass es um ein Beitragen aus intrinsischer Motivation geht und nicht um tauschen. Denn sobald Tauschlogik ins Spiel kommt, sind wir wieder beim Verrechnen und beim Konkurrieren. Es geht dann nicht mehr um die Tätigkeit selbst oder darum, dass ich einer anderen Person, die etwas braucht, jenes geben kann, sondern die Tätigkeit wird wieder zum Mittel. Der Zweck aus dem heraus du aktiv wirst, ist, sich selbst etwas leisten zu können, etwas zu bekommen. Hierdurch wird die intrinsische Motivation durch eine extrinsische ersetzt und die Tätigkeit auf einen abstrakten Tauschwert reduziert, also nicht mehr um ihrer Selbst willen ausgeführt.

4. Offenheit und Freiwilligkeit

»Freiwilligkeit ist das, was das Beitragen vom Tauschen unterscheidet. Dies geht nur mit der Offenheit des Zugangs von Ressourcen, sonst wäre keine Freiwilligkeit gegeben«, schreibt Friederike Habermann. Sie betont in diesem Prinzip vor allem, dass Offenheit charakteristisch für Commons sei. Denn wenn eine Ressource nur einer bestimmten Gruppe an Menschen zur Verfügung steht, ist es eigentlich kein Commons mehr, sondern Gemeinschaftseigentum. Das heißt: »Ressourcen werden offen oder zumindest über die eigene Gemeinschaft hinaus zur Verfügung gestellt.« Commons sollen also das starre Verständnis von Innen, einer Wir-Gruppe, und Außen, den ‘Anderen’, aufheben. Um es greifbarer zu machen: »Commons ist, wenn alle Wikipedia nutzen können und sogar auch mitgestalten können, auch wenn organisatorische Entscheidungen letztlich von wenigen Administrator_innen getroffen werden.« Nun stell dir mal vor, es gäbe eine Gesellschaft, in der du von Menschen umgeben bist, die alle das tun, was sie erfüllt. Sie teilen all jene Tätigkeiten, die sie gerne tun. Notwendiges wird kollektiv erledigt – aus Freude, zur Gemeinschaft etwas beitragen zu können. Eine Gesellschaft struktureller Gemeinschaftlichkeit des Miteinanders statt »strukturellem Hass« oder Verantwortungslosigkeit. Stell’s dir einfach mal vor… Und wische alle »Wenns« und »Abers«, die ungewollt in deinen Kopf ploppen, beiseite. Was hindert dich daran, an einer solchen Utopie mitzuwirken?

Bist du Commonist*in?

Hast du dir bei den vier Prinzipien das ein oder andere Mal gedacht: Ja, das lebe ich doch schon? Vielleicht hast du auch darüber nachgedacht, in welchem Lebensbereich du dieses Prinzip einmal ausprobieren könntest? Versuchs doch einfach mal. Und beobachte, wie deine Mitmenschen darauf reagieren.

In den zweieinhalb Jahren, in denen ich geldfrei und so weit wie möglich frei von Tauschlogik gelebt habe (mittlerweile lebe ich geldfreier, da ich Miete für ein Hausprojekt zahle), durfte ich zahlreiche wunderschöne Begegnungen erleben, die von den vier Prinzipien erfüllt waren. Sie entstehen ganz von alleine, wenn du dich außerhalb der gewohnten Denkstrukturen verhältst. Sie rütteln wach und zeigen im alltäglichen Miteinander, dass Gesellschaft auch anders gelebt werden kann. Dass da noch mehr ist als Verwertungslogik, Leistungsfetisch und Selbstoptimierungsdruck

Und du? Bist du Commonist*in? Denk mal drüber nach…

Pia Selina Damm
pia@livingutopia.org
www.livingutopia.org