Wohnsitz, Meldepflicht und Schulpflicht

Anmerkungen zu rechtlichen Grundlagen

Im Zusammenhang mit der Schulpflicht tauchen auch immer wieder Hinweise und Fragen zur Meldepflicht, zum Wohnsitz, zur Anmeldung und Abmeldung, zur Reisefreiheit und zur Zuständigkeit von Behörden (Schulen, Schulämtern, Jugendämtern) und Gerichten auf. Ich versuche, hier einige Hinweise auf die allgemeine rechtliche Situation zu geben. Die Angaben erfolgen nach bestem Wissen – sie stellen aber die Interpretation eines »belesenen Laien« dar und ersetzen keine rechtliche Beratung zum Beispiel durch einen Anwalt!

Text: Matthias Kern – www.freilerner-solidargemeinschaft.de

Die Grundlage der Schulpflicht

Die verfassungsrechtliche Basis der Schulpflicht bildet nach der unter Juristen »herrschenden Meinung« (und den Entscheidungen der obersten Gerichte) Artikel 7, Absatz 1 des Grundgesetzes: »Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.« Hieraus wird ein Erziehungsauftrag des Staates abgeleitet, für alle weiteren Regelungen sind die einzelnen Bundesländer zuständig. Alle 16 Bundesländer haben eine praktisch ausnahmslose, absolute Schulbesuchspflicht festgelegt. Es gibt einige Juristen, die der Ansicht sind, dies sei nicht gerechtfertigt und es gibt umfangreiche Diskussionen hierzu, z.B. in entsprechenden Fachzeitschriften – aber dies hat (noch?) keinen Einfluss auf die Handhabung im Alltag. Die Details variieren je nach Bundesland, aber die Grundregeln sind in ganz Deutschland fast gleich.

Wie ist die Lage bei »Reisenden«?

Reisen ändert formal nichts an der Schulpflicht. Schulpflicht besteht für junge Menschen, die in Deutschland ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Sie gilt auch für Menschen bzw. Familien ohne festen Wohnsitz, wenn sie in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und zum Beispiel ständig oder zeitweise reisend unterwegs sind. Sie gilt auch für beruflich Reisende mit Wohnsitz in Deutschland (egal in welches Land die beruflichen Reisen gehen) – bei diesen kann die Schulpflicht aber je nach Bundesland in anderer Form erfüllt werden, z.B. durch Konzepte mit Stammschule (am Wohnsitz), evtl. Stützpunktschulen (an den Arbeitsorten) und »Reisetagebuch« oder durch Fernbetreuung (z.B. »Schule für Circuskinder«). Für Reisen aus privaten (nicht beruflichen) Gründen kann es in begründeten Einzelfällen Beurlaubungen für wenige Tage geben, an der Schulpflicht ändern sie nichts.

Anders ist die Situation nur bei sehr langen Auslandsreisen (mindestens ein Jahr).

Wie ist die Lage, wenn man sich abmeldet?

Den Wohnsitz der ganzen Familie oder eines Teils der Familie oder auch nur den des jungen Menschen beim Einwohnermeldeamt abzumelden, ändert formal nichts an der Schulpflicht – es sei denn, die Familie zieht tatsächlich aus der Wohnung aus oder die Familie hat einen (Haupt-)Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland.

Regelungen zum Wohnsitz und zur Meldepflicht stehen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Bundesmeldegesetz (BMG).

Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse, nicht die Angaben der betroffenen Personen. Wer sich beim Einwohnermeldeamt abmeldet, aber tatsächlich nicht aus der Wohnung auszieht, wird »von Amts wegen« wieder in das Einwohnerregister eingetragen (also wieder »angemeldet«), sobald das Einwohnermeldeamt dies feststellt. Dazu kann das Einwohnermeldeamt auch die »tatsächlichen Verhältnisse « ermitteln, also zum Beispiel Vermieter und Nachbarn befragen.

Maßgebend für die Begründung bzw. die Aufgabe des Wohnsitzes ist der Bezug der Wohnung bzw. der Auszug aus der Wohnung – nicht die tatsächliche Aufenthaltsdauer. Wenn die Wohnung mir jederzeit zur Verfügung steht, sich darin die zum Wohnen notwendigen Einrichtungsgegenstände und persönliche Gegenstände von mir befinden – dann habe ich die Wohnung bezogen, habe dort meinen Wohnsitz und bin verpflichtet, mich dort anzumelden, auch wenn ich mich nur wenige Tage im Jahr tatsächlich dort aufhalte.

Eine Familie hat in der Regel eine gemeinsame Wohnung.

BMG § 22, Abs. 1: »Hauptwohnung eines verheirateten oder eine Lebenspartnerschaft führenden Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie oder seinem Lebenspartner lebt, ist die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie oder der Lebenspartner.«

BGB §11: »Ein minderjähriges Kind teilt den Wohnsitz der Eltern; …« (ähnlich auch BMG §22, Abs. 2)

Wird also ein Kind oder ein Ehepartner (oder Lebenspartner) mit Kind (oder Kindern) abgemeldet, ohne dass die Partner getrennt leben und ohne dass die Abgemeldeten eine andere »vorwiegend benutzte Wohnung« haben – dann haben die Abgemeldeten trotz Abmeldung formal immer noch den Wohnsitz bei dem anderen Partner, falls dieser den Wohnsitz beibehält.

Wenn die Familie allerdings zusätzlich zu dem deutschen Wohnsitz noch einen Wohnsitz im Ausland hat und der gewöhnliche Aufenthalt eher am Auslandswohnsitz ist – dann haben nach meinem Verständnis die am Auslandswohnsitz geltenden Regelungen zur Schulpflicht Vorrang.

Wenn der junge Mensch keinen Wohnsitz hat – sind dann Schule, Schulamt, Jugendamt und Gerichte überhaupt zuständig?

Ja. Wenn es keinen festen Wohnsitz gibt, ist der gewöhnliche Aufenthalt oder der momentane tatsächliche Aufenthalt maßgeblich. Irgendeine Behörde aus jedem Bereich ist auf jeden Fall zuständig – eine örtliche Pflichtschule, ein Schulamt, ein Jugendamt und auch ein Familiengericht und ein Strafgericht.

Was ist mit völkerrechtlichen Abkommen und zwischenstaatlichen Vereinbarungen? EU-Freizügigkeit, Schengener Abkommen, Euro usw. – stehen die nicht im Rang höher, so dass damit die Schulpflicht gegenstandslos wird?

Der Artikel ist 2017 in Heft 74 – Herausforderungen beim Freilernen erschienen.

Nein. In den Schulgesetzen der meisten Bundesländer ist tatsächlich der folgende (oder ein ähnlich lautender) Satz enthalten: »Völkerrechtliche Abkommen und zwischenstaatliche Vereinbarungen bleiben unberührt.«

Das spielt aber in Bezug auf die Schulpflicht nur dort eine Rolle, wo irgendwelche Abkommen oder Vereinbarungen tatsächlich Regelungen zum Wohnsitz, zur Meldepflicht oder zur Schulpflicht treffen – zum Beispiel in Bezug auf die Angehörigen von Diplomaten oder von in Deutschland stationierten Streitkräften.

In den EU-Freizügigkeitsregelungen, in den Schengener Abkommen und in den Regelungen über den Euro gibt es aber nach meiner Kenntnis keinerlei Regelungen über die Schulpflicht, die »unberührt bleiben« könnten – also nichts, was die deutsche Schulpflicht gegenstandslos machen könnte.