Entscheidungskind
Da gibt es diese Geschichten, von denen eigentlich jeder Mensch eine hat, die er sein ganzes Leben lang mit sich herum trägt. Erfahrungen, die man vor vielen langen Jahren gemacht hat, die einen immer wieder beschäftigen, einholen, sich breit machen und sich einem stolz als immer wiederkehrendes Problem vorstellen.
Der Artikel ist 2015 in Heft 66 – Entscheidungen erschienen.
Zum Thema »Entscheidungen« fällt mir deshalb als erstes ein, dass ich doch das Entscheidungskind bin. Eins dieser so häufig gewordenen Scheidungskinder, mit dem Zusatz, dass ich meine Zuhause in wöchentlichem Rhythmus gegeneinander ausgetauscht habe, freiwillig natürlich. Eigentlich war der Wochenrhythmus aber jeder Zeit unterbrechbar und ich durfte mich frei entscheiden, wohin ich zu welcher Zeit gehen und wann ich wo bleiben wollte. Völlige Entscheidungsfreiheit kann man so was nennen. Oder auch maßlose Entscheidungsüberforderung. Und deshalb kam es eines Tages dazu, dass ich anfing der Entscheidung zu entsagen. Noch nicht mal bewusst wahrscheinlich, bin ich oft nach der Schule durch die Stadt gelaufen, ohne ein genaues Ziel zu haben. Geleitet von dem unterbewussten Wissen, das ich mich nicht entscheiden will, in welchem Bett ich heute Nacht schlafe. Wenn ich mir jetzt vorstelle, wie ich damals wohl ausgesehen habe, dann sehe ich ein etwa 15 jähriges Mädchen das alleine durch die Fußgängerzone einer großen Stadt schlendert, vorbei an vielen Leuten, mit einer großen Grübelwolke um ihren Kopf. Weiterlesen