Ergebnisse der Studie von Peter Gray und Gina Riley: Wenn Freilerner erwachsen werden…

Dr. Peter Gray ist ein Psychologie-Professor am Boston College, der sich momentan hauptsächlich der Forschung über die natürlichen Wege des Lernens von Kindern und dem lebenslangen Wert des Spielens widmet. In seinem kürzlich erschienenen Buch »Free to Learn« (Basic Books, 2013) plädiert er dafür, Kindern wieder mehr freies Spielen zu ermöglichen, da dieses physisch, emotional und mental das Gesündeste für ihre Entwicklung und ihren Lernprozess ist. Darüber hinaus schreibt er auch zu diesem Thema in seinem Blog »Freedom to Learn«.
Gina Riley, Ph.D. ist Bildungspsychologin und klinische Professorin für Jugend-Sonderpädagogik an der City University of New York – Hunter College. Ihre Studien und Veröffentlichungen beinhalten Arbeiten zu Unschooling, erwachsenen Freilernern, Homeschooling, Worldschooling, innerer Motivation und selbst-gesteuertem Lernen in alternativen Lernumgebungen.

Erschienen 2015 in Heft 65 – Innere und äußere Strukturen.

Im Jahr 2011 führte Dr. Peter Gray zusammen mit seiner Kollegin Dr. Gina Riley eine Studie unter Eltern von freilernenden Kindern durch (232 Teilnehmer), in der deutlich wurde, dass die Eltern das Freilernen als großen Gewinn für die Kinder und die ganze Familie betrachteten. Die wenigen Herausforderungen, die erwähnt wurden, hatten hauptsächlich damit zu tun, dass sie das Freilernen gegenüber denen, die es nicht verstanden oder nicht billigten, verteidigen mussten und dass sie einige ihrer eigenen kulturell verwurzelten, gewohnheitsmäßigen Denkweisen über Bildung überwinden mussten.

Die Ergebnisse jener Studie führten zu einigen neuen Fragen: Wie beurteilen die freilernenden Kinder selbst die Freilerner-Erfahrung? Können erwachsene Freilerner eine Hochschulbildung erlangen, falls sie sich dazu entscheiden? Und können sie eine gewinnbringende und zufriedenstellende Erwerbstätigkeit finden? Diese Fragen mündeten in eine Studie über erwachsene Freilerner, die im Jahr 2013, ebenfalls von Dr. Peter Gray und Dr. Gina Riley, durchgeführt wurde.

Die Bedingungen für die Teilnahme an der Studie waren: (a) mindestens 18 Jahre alt zu sein, (b) mindestens zwei Jahre während der Zeit, die ihre Highschool-Jahre gewesen wären, Freilerner¹ gewesen zu sein und (c) die 11. und 12. Klasse der Highschool nicht besucht zu haben.

¹Definition des Begriffes »Freilernen« für die Studie: »Freilernen ist nichtbeschulen. Freilerner-Eltern schicken ihre Kinder nicht in die Schule und sie tun auch zu Hause nicht die Art von Dingen, die in der Schule getan werden. Genauer gesagt erstellen sie keinen Lehrplan für ihre Kinder, sie fordern von den Kindern nicht, dass sie bestimmte Aufgaben zum Zweck der Bildung erledigen und sie prüfen ihre Kinder nicht, um deren Fortschritt zu messen. Stattdessen ermöglichen sie ihren Kindern die Freiheit, ihren eigenen Interessen nachzugehen und auf ihre eigene Art zu lernen was sie wissen müssen, um diesen Interessen zu folgen. Sie können auf verschiedene Arten inspirierende Zusammenhänge und eine unterstützende Umgebung für das Lernen des Kindes bieten. Allgemein gesagt sehen Freilerner Leben und Lernen als ein und dieselbe Sache.«

Von den 75 Teilnehmern, die den Kriterien entsprachen, waren 65 aus den USA, 6 aus Kanada, 3 aus Großbritannien und 1 aus Deutschland (wo Freilernen illegal ist). Das Durchschnittsalter der Teilnehmer war 24 Jahre, mit einer Spanne von 18 bis 49 Jahren. 8 waren zwischen 10-19 Jahre alt, 48 zwischen 20-29 Jahre, 17 zwischen 30-39 Jahre und 2 zwischen 40-49 Jahre. 58 (77%) waren Frauen, 16 waren Männer und 1 hat sich selbst als Transgender bezeichnet. Der hohe Anteil an Frauen repräsentiert wahrscheinlich eine allgemeine Tendenz, dass  Frauen eher auf Umfragen antworten als Männer. Es ist nicht der Fall, dass mehr Mädchen als Jungen Freilerner sind; tatsächlich deutet die vorhergehende Studie darauf hin, dass es eine Verschiebung in die andere Richtung gibt – in den Familien, die an der letzten Umfrage teilgenommen haben, gab es einige freilernende Jungen mehr als Mädchen.

Zum Zweck des Vergleichs wurden die Teilnehmer in 3 Gruppen aufgeteilt, basierend auf der letzten Klasse, die sie in der Schule oder als zu Hause Lernende abgeschlossen hatten. Die Gruppe I hatte komplett freigelernt – kein Schulbesuch innerhalb der 12 Klassen (USA K-12) und auch kein Hausunterricht. Die Gruppe II hatte ein oder mehrere Jahre eine Schule besucht oder wurde zuhause unterrichtet, allerdings keins von beiden nach der 6. Klasse; und die Gruppe III hatte ein oder mehrere Jahre (auch) nach der 6. Klasse eine Schule besucht oder wurde zuhause unterrichtet. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Aufgliederung einiger der statistischen Ergebnisse innerhalb der 3 Gruppen. Es ist offensichtlich, dass sich die 3 Gruppen ziemlich ähnlich sind in Bezug auf die Anzahl der Teilnehmer, das Durchschnittsalter und den Prozentsatz an Frauen, aber natürlich unterscheiden sie sich bezüglich der Anzahl der Jahre an Schulbesuch plus Hausunterricht.

Tabelle 1

Zugang zu höherer Bildung

Eine Frage der Umfrage lautete: »Bitte beschreiben Sie kurz jegliche formelle höhere Bildung, die Sie absolviert haben, z.B. Community College, College, Graduate School. Wie konnten Sie an der Hochschule ohne Highschool-Abschlusszeugnis aufgenommen werden? Wie kamen Sie mit der Umstellung vom Freilernen zu einer formelleren Art der Bildung zurecht? Bitte zählen Sie jegliche Abschlüsse auf, die Sie bereits erhalten haben oder auf die Sie momentan hinarbeiten.«

Insgesamt gaben 62 Teilnehmer (83 %) an, dass sie einer Form der höheren Bildung nachgegangen sind. Dies beinhaltet berufliche Ausbildungen (z.B. Gastronomie-Schule) oder Kurse am community college ebenso wie konventionelle Bachelor-Studiengänge oder ein Studium an einer graduate school. Wie man in der 4. Zeile der Tabelle sehen kann, war der Prozentsatz hierfür  in allen 3 Gruppen ziemlich ähnlich. Insgesamt 33 Teilnehmer (44 %) haben einen Bachelor-Abschluss oder einen höheren Abschluss erreicht oder sind momentan Vollzeit-Studenten in einem Bachelor-Studiengang. Wie man in der 5. Zeile der Tabelle sehen kann, ist die Wahrscheinlichkeit, einen Bachelor oder einen höheren Abschluss zu erlangen, umgekehrt abhängig von den Jahren an früherer Beschulung. Für diejenigen aus der Gruppe der »Nur-Freilerner« war es am wahrscheinlichsten, sich in einem BachelorStudiengang einzuschreiben und für diejenigen, die in höheren Jahrgängen als der 6. Klasse beschult wurden, war die Wahrscheinlichkeit am geringsten.²

²obwohl dieser Unterschied erheblich ist erreicht er dennoch kein konventionelles Maß an statistischer Bedeutung (ein Chi-Quadrat-Test ergab p=126)

Andererseits verfolgte aus der Gruppe der »Nur-Freilerner« insgesamt der geringste Prozentsatz der Teilnehmer eine höhere Bildung. Diejenigen, die sich gegen jegliche Form der formellen  höheren Bildung entschieden hatten, gaben an, dass sie keine höhere Bildung bräuchten, um sich das Wissen, das sie interessiert, anzueignen oder den von ihnen gewählten Beruf auszuüben.

Eine von ihnen schrieb: »Ich habe das Freilernen auch in meinem Erwachsenenleben beibehalten und werde dies mein ganzes Leben lang tun. Ich denke, Praktika und Ausbildungen sind die natürliche Erweiterung des Freilernens auf den traditionellen Arbeitsplatz. Falls ich mich eines Tages für einen Bereich interessiere, für den der Besuch des College ein gutes Hilfsmittel ist, dann würde ich mich darauf einlassen – aber ich würde es nach wie vor als einen Teil des Freilerner-Wegs betrachten, der für mich einfach bedeutet, meiner Neugier zu folgen, wo auch immer sie mich hinführt.«

Ein weiterer Teilnehmer gab Folgendes an: »Als Erwachsener wurde mir klar, dass das Freilernen mir geholfen  hatte zu realisieren, dass kein College notwendig ist, um ein erfolgreiches und erfülltes Leben zu führen.«

Von den 33 Teilnehmern, die einen Bachelor-Studiengang absolviert haben, gaben 7 an, dass sie vorher über ein General Educational Development (GED, eine Prüfung, die dem Highschool-Abschluss gleichgestellt ist) einen Abschluss erlangt hatten und 3 gaben an, dass sie über ein Online-Programm einen Abschluss erreicht hatten. Den anderen wurde der Zugang zu einem Bachelor-Studiengang ohne ein Highschool-Abschlusszeugnis gewährt, außer in wenigen Ausnahmen, in denen es ein selbstausgestelltes Abschlusszeugnis gab, das aber wahrscheinlich keine offizielle Gültigkeit besaß. Nur 7 dieser 33 Teilnehmer gaben an, dass sie den SAT oder ACT Test für die Aufnahme am College abgelegt hatten. Mit Abstand der größte Einstiegsweg ins College für diese jungen Leute war das Community College – 21 der 33 Teilnehmer hatten Kurse am Community College besucht, bevor sie sich für das College bewarben und der Studiennachweis des Community College diente als Basis für die Zulassung. Manche begannen ziemlich jung mit solchen Kursen (in einem Fall mit 13 Jahren, in anderen typischen Fällen mit 16 Jahren) und gewannen dadurch einen Vorsprung in ihrer Hochschullaufbahn. Indem sie ihre Credits (Leistungspunkte) übertrugen, konnten manche auch die Anzahl an Semestern (und die Studiengebühren), die nötig waren um einen Bachelor-Abschluss zu erreichen, reduzieren. Einige erwähnten auch Bewerbungsgespräche und – mappen als einen Weg, um an einem College zugelassen zu werden.

Die Colleges, die sich besuchten, waren sehr unterschiedlich. Sie reichten von staatlichen Universitäten über eine Universität der Ivy League (eine  Gruppe von 8 Elite-Hochschulen in den USA) bis zu einer Vielzahl an kleinen Colleges der freien Künste.

Die Teilnehmer berichteten über erstaunlich wenig akademische Schwierigkeiten im College. Studenten, die nie zuvor in einem Klassenzimmer gewesen waren oder ein Schulbuch gelesen hatten, bekamen glatte Einsen und Ehrenauszeichnungen, sowohl in Kursen am Community College als auch in Bachelor-Studiengängen. Es scheint, als ob ihnen durch die Abwesenheit eines von außen auferlegten Lehrplans kein Wissen oder Fähigkeiten, die man braucht um am College erfolgreich sein zu können, verwehrt wurde. Die meisten berichteten, dass sie einen akademischen Vorteil gegenüber ihren Kommilitonen hatten, weil sie nicht vom vorangegangenen Schulbesuch erschöpft und ausgebrannt waren, als Freilerner gelernt hatten selbstgesteuert und selbstverantwortlich zu sein, es als ihre eigene Entscheidung wahrnahmen, das College zu besuchen und die Absicht hatten, das Beste daraus zu machen was es ihnen zu bieten hatte.

Einige der Teilnehmer berichteten über Enttäuschung in Bezug auf das soziale Umfeld am College. Sie entschieden sich fürs College in der Hoffnung, in eine intellektuell anregende Umgebung einzutauchen und erlebten stattdessen, dass ihre Mitschüler sich mehr für Partys und Alkoholkonsum interessierten.

Übersicht über die höheren Bildungseinrichtungen in den USA

Community College: eine staatlich finanzierte Bildungseinrichtung, die eine 2-jährige Ausbildung in berufsbildenden Programmen anbietet.
College: eine Hochschule, die nur 3 – oder 4-jährige Studiengänge mit dem Bachelor Abschluss anbietet.
University: eine Hochschule, die zusätzlich zum Bachelor auch höhere Abschlüsse die Master und Doktortitel anbietet.
Graduate School: eine Hochschule, die ausschließlich höhere Abschlüsse wie Master und Doktortitel anbietet.

Berufstätigkeit

Eine weitere Frage der Umfrage lautete: »Sind Sie momentan berufstätig? Falls ja, was arbeiten Sie? Stimmt Ihre momentane Berufstätigkeit mit irgendwelchen Interessen/Aktivitäten, denen Sie als freilernendes Kind/Jugendlicher nachgegangen sind, überein? Falls ja, erläutern Sie diese bitte.«

Die Analyse der Antworten auf diese Frage führte dazu, dass ein kleiner Folgefragebogen erstellt und an alle Teilnehmer geschickt wurde. In ihm wurden diese gebeten, jegliche momentanen Berufsbestrebungen zu beschreiben und alle bezahlten Jobs, die sie jemals hatten, aufzulisten, um einen Hinweis darauf zu bekommen, ob sie genug verdienten, um sich selbst versorgen zu können. 63 (84 %) der ursprünglich 75 Teilnehmer beantworteten diesen Folgefragebogen.

Die große Mehrheit der Teilnehmer war zum Zeitpunkt der Umfrage gewinnbringend beschäftigt. Ausnahmen waren einige Vollzeit-Studenten und einige Mütter mit kleinen Kindern. Von denjenigen, die den Folgefragebogen beantwortet hatten, gaben 78 % an, dass sie finanziell unabhängig sind, obwohl einige von ihnen anmerkten, dass ihr Einkommen bescheiden ist und sie größtenteils wegen ihres genügsamen Lebensstils finanziell unabhängig sind. Einige von ihnen beschrieben Genügsamkeit als etwas Wertvolles und gaben an, dass sie lieber einer Arbeit nachgehen, die ihnen Spaß macht und die sie als sinnvoll ansehen, als einer anderen Arbeit, die lukrativer wäre.

Insgesamt gingen die Teilnehmer einer großen Bandbreite an verschiedenen Jobs und Berufen nach, aber zwei Hauptmerkmale stechen hervor.

Das erste ist, dass ein bemerkenswert hoher Prozentsatz der Teilnehmer Berufen nachgeht, die als kreative Künste kategorisiert werden können – eine Kategorie, die bildende Künste, Handwerk, Musik, Fotografie, Film und schriftstellerische Tätigkeiten umfasst. Insgesamt 36 (48 %) der Teilnehmer übten einen solchen Beruf aus. Wie man in Zeile 8 der Tabelle sehen kann, lag der Anteil hierfür in der Gruppe der »Nur-Freilerner« bemerkenswert hoch bei 79 %. Die Beobachtung, dass die Teilnehmer, die immer freigelernt hatten, eher einen Beruf der kreativen Künste ausübten als die anderen Teilnehmer, ist statistisch sehr relevant.³

 ³Ein Chi-Quadrat-Test ergab p<0,001

Das zweite Hauptmerkmal ist, dass ein hoher Prozentsatz der Teilnehmer selbständig arbeitet. Teilnehmer wurden in diese Kategorie eingeordnet, wenn sie sich selbständig gemacht hatten und ihren Lebensunterhalt damit bereits verdienen konnten oder darauf hinarbeiteten. Diese Kategorie überschnitt sich auffällig mit der Kategorie der kreativen Künste, da viele ihre eigenen kreativen Werke oder Dienste verkauften.

Wie man in Zeile 9 der Tabelle sehen kann, war der Prozentsatz der Selbständigen ebenfalls in der Gruppe der »Nur-Freilerner« am höchsten (63 %), allerdings erreichen die Unterschiede in diesem Fall keine statistische Bedeutung.

Als Antwort auf die Frage über die Beziehung zwischen ihrer Berufstätigkeit als Erwachsene und ihren Interessen und Aktivitäten in der Kindheit, gaben 58 (77 %) der Teilnehmer einen klaren Zusammenhang an. Für Künstler, Musiker, am Theater Arbeitende und ähnliche waren Hobbys der Kindheit ziemlich nahtlos in Berufe des Erwachsenenlebens übergegangen, und auch einige außerhalb der kreativen Künste beschrieben ebenso natürliche Entwicklungen von Hobbys zu Berufen. Wie man in Zeile 6 der Tabelle sehen kann, war in der Gruppe der »NurFreilerner« der Prozentsatz derjenigen, die eine große Übereinstimmung von Interessen in der Kindheit und Berufstätigkeit als Erwachsene beschrieben, am größten, auch wenn dieser Unterschied keine statistische Bedeutung erreicht.

Die Beurteilung der eigenen Freilerner-Erfahrung

Eine weitere Frage des Fragebogens lautete: »Was waren für Sie die größten Vorteile des Freilernens? Bitte antworten Sie sowohl in Bezug darauf, wie sie sich als heranwachsendes Kind fühlten, als auch wie Sie sich heute fühlen, wenn Sie auf Ihre Erfahrungen zurückblicken. Wie hat Ihnen aus Ihrer Sicht das Freilernen beim Übergang zum Erwachsensein geholfen?«

Fast alle Teilnehmer erzählten über die Freiheit und die Unabhängigkeit, die ihnen das Freilernen schenkte und die reichliche Zeit, die sie zur Verfügung hatten, um ihre eigenen Interessen zu entdecken und ihnen nachzugehen. 70 % von ihnen gaben außerdem an, dass die Freilerner-Erfahrung es ihnen ermöglicht hatte, sich zu stark selbstmotivierten und selbstbestimmten Individuen zu entwickeln. Viele schrieben auch über Lernmöglichkeiten, die nicht verfügbar gewesen wären, wenn sie in der Schule gewesen wären, über ihren ziemlich nahtlosen Übergang zum Erwachsenenleben und über das gesündere (weil altersgemischte) Sozialleben, das sie außerhalb der Schule erfahren konnten im Kontrast zu dem, das sie in der Schule erwartet hätte.

Die nächste Frage lautete: »Was waren für Sie die Hauptnachteile des Freilernens? Bitte antworten Sie wieder sowohl in Bezug darauf, wie Sie sich als heranwachsendes Kind fühlten, als auch wie Sie sich heute fühlen, wenn Sie auf Ihre Erfahrungen zurückblicken. Inwiefern hat das Freilernen Sie aus Ihrer Sicht in Ihrem Übergang zum Erwachsensein gehindert?«

28 der 75 Teilnehmer berichteten von keinerlei Nachteilen. Bei den verbliebenen 47 waren die am häufigsten erwähnten Nachteile: (1) sich mit der  Kritik und den Urteilen anderer über das Freilernen beschäftigen zu müssen (erwähnt von mindestens 21 Teilnehmern); (2) ein gewisser Grad an sozialer Isolation (erwähnt von 16 Teilnehmern), der zum Teil darauf zurückging, dass es relativ wenig zuhause unterrichtete oder freilernende Kinder in der Nähe gab und (3) die Anpassung an die Werte und sozialen Stile derjenigen, die ihr ganzes Leben lang beschult wurden, mit denen sie beim Eintritt in das höhere Bildungssystem konfrontiert wurden (erwähnt von 14 Teilnehmern).

Aus der Sicht von 72 der 75 Teilnehmer überwogen die Vorteile des Freilernens deutlich die Nachteile. Das Gegenteil war nur für 3 Teilnehmer der Fall, 2 von ihnen beschrieben eine ausdrücklich negative Sicht sowohl auf ihre eigene Freilerner-Erfahrung als auch auf das Freilernen allgemein. Bei allen 3 wurden die Mütter als mental labil und die Väter als unbeteiligt beschrieben. In allen 3 Fällen fühlten sich die Teilnehmer sozial isoliert, ungebildet, stigmatisiert und »sonderbar« aufgrund des Freilernens und der Atmosphäre in ihrer Familie.

Zwei der Teilnehmer führten die Isolation teilweise auf den fundamentalistischen christlichen Glauben ihrer Eltern zurück. 2 Teilnehmer gaben außerdem an, dass die Mutter sie eigentlich zu Hause nach einem christlichen Lehrplan unterrichten wollte und dies aufgrund psychischer Probleme nicht geschafft hatte. Eine von ihnen berichtete zusätzlich, dass sie zuhause den Haushalt erledigen und sich um ihre Mutter kümmern musste. Eine Teilnehmerin drückte es so aus: »Nachteile waren, keinen Grundstock an Basiswissen und sozialen Fähigkeiten zu haben! Ich fühle mich außerdem unbehaglich mit den meisten Menschen und bin lieber alleine […] Als Kind war das größte Problem, dass ich wusste, dass ich nirgends hinpasste, wir waren immer die »Komischen« in der Nachbarschaft, verpassten immer entscheidende Entwicklungsschritte und waren zu oft alleine. […] Jetzt empfinde ich es auch so, dass ich mehr über Religion gelernt habe als Dinge zu tun, die für mein späteres Leben brauchbar wären.«

Eine weitere Teilnehmerin behielt sich trotz der eigenen negativen Erfahrungen auch eine positive Sicht auf das Freilernen: »Ich denke, wenn ich zur Schule gegangen wäre, während ich mit meinen dysfunktionalen und misshandelnden Eltern zu tun hatte, hätte ich wahrscheinlich falsche soziale Entscheidungen getroffen, die langfristigen negativen Einfluss auf mich gehabt hätten. […] Ich hatte zu Hause viel Zeit, um über Dinge nachzudenken. Ich habe meine eigene geheime Meditationsmethode entwickelt. Diese Angewohnheit der Selbstgenügsamkeit und Selbstbesinnung half mir ins Erwachsenenleben überzugehen, insbesondere mich vom kontrollierenden Zugriff meiner Mutter zu lösen. […] Ich war als Freilernerin selbstgesteuert in meinem Lernen und ein Großteil meiner heutigen Arbeitsstelle setzt selbstgesteuerte Bildung voraus.«

Obwohl die Stichprobe für die Studie relativ klein ist, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass das Freilernen wunderbar funktioniert, wenn die ganze Familie sich darauf einlässt, wenn die Eltern mental gesund und glücklich sind und wenn die Eltern mit der weiteren Welt sozial vernetzt sind und ihren Kindern dabei helfen, sich in dieser Welt einzubringen. Selbst wenn einige dieser Kriterien nicht vollkommen erfüllt sind, kann es trotzdem noch gut funktionieren.

Kinder, die in einer solch positiven Umgebung als Freilerner aufwachsen, übernehmen die Kontrolle über ihr eigenes Leben und erleben Unterstützung durch ihre Familie, um ihren eigenen Weg zum Glück zu finden und ihm zu folgen. Wenn allerdings der dominante Elternteil wirklich dysfunktional ist und wenn die Familie eher eine Philosophie der Isolation von der weiteren Kultur als die Teilnahme daran lebt, oder wenn das freilernende Kind lieber in die Schule gehen würde, dann kann das Freilernen zu Verbitterung führen und – berechtigterweise – zu Gefühlen des Missbrauchs und der Vernachlässigung.

Die nächste Frage lautete: »Wenn Sie sich dafür entscheiden, eine Familie/ Kinder zu haben, glauben Sie, dass Sie ihre Kinder freilernen lassen werden? Warum oder warum nicht?«

Ein Teilnehmer ließ diese Frage aus. Von den übrigen 74 antworteten 50 (67 %) so, dass es als klares »Ja« gewertet wurde und von diesen hatten 8 bereits Kinder im Schulalter, die Freilerner waren. Von den übrigen antworteten 19 so, dass es als »vielleicht« gewertet wurde (für sie kam es auf solche Faktoren wie Persönlichkeit und Wünsche des Kindes, die Einwilligung des anderen Elternteils oder die Verfügbarkeit einer guten alternativen Schule in der Nähe an). 5 Teilnehmer antworteten so, dass es als klares »Nein« gewertet wurde. Diese beinhalteten 2 von den 3 Teilnehmern, die ihre eigene Freilerner-Erfahrung negativ betrachteten und 3 andere, die trotz ihrer positiven Gefühle über ihr eigenes Freilernen ihre eigenen Kinder aus verschiedenen Gründen nicht freilernen lassen wollten.

Einschränkungen der Studie

Eine große Einschränkung dieser Studie ist natürlich, dass die Teilnehmer eine selbsterstellte und keine zufällige Auswahl an erwachsenen Freilernern sind. Wie bereits erwähnt haben relativ wenige Männer an der Studie teilgenommen. Ein größeres Problem ist, dass in der Auswahl diejenigen, die mit ihrer Freilerner-Erfahrung und ihrem darauffolgenden Leben am zufriedensten sind, eventuell überrepräsentiert sind. Tatsächlich scheint es ziemlich wahrscheinlich, dass diejenigen, die zufriedener mit ihrem Leben sind, eher bereit sind, ihre Erfahrungen zu teilen und deshalb eher auf die Umfrage geantwortet haben als diejenigen, die weniger zufrieden sind. Deshalb kann diese Studie allein keine Basis für haltbare Behauptungen über die Erfahrungen und Gefühle aller Freilerner sein.

Was die Studie allerdings eindeutig zeigt ist, dass es möglich ist, dem Freilerner-Weg zu folgen und dann zu einem sehr erfüllten Erwachsenenleben überzugehen. Den Menschen, die an der Umfrage teilgenommen haben, scheint das Freilernen in ihren Bemühungen nach höherer Bildung, Wunschberufen und anderen sinnvollen Lebenserfahrungen weitaus mehr Vorteile als Nachteile geboten zu haben.

 Artikel: Nina Downer
FB: Natural Learning Unlimited

Foto: Kira Wybierek
www.mein-neuland.blogspot.de

Die Ergebnisse wurden ursprünglich am 7. Juni 2014 von Peter Gray in seinem Blog Freedom to Learn veröffentlicht: A Survey of Grown Unschoolers I: Overview of Findings.


550x150

Ein Interview mit Peter Gray wird es auch beim Online-Bildungskongress für freies Lernen und selbstbestimmte Bildung geben.


Befreit lernen

Wie Lernen in Freiheit spielend gelingt

befreit lernenWie gelingt selbstbestimmtes, intrinsisch motiviertes Lernen in Freiheit? Als essenzielles Element freien Lernens erkannte der renommierte amerikanische Psychologe und Bildungsforscher Peter Gray den Spieltrieb: Wer spielt, lernt. Das zweckfreie, aber keineswegs beliebige Spiel beschreibt er als anthropologische Konstante, die über Zeiten und Kulturen hinweg das Lernen der Menschen geprägt hat. Dies belegt der Autor durch Zeugnisse aus Entwicklungspsychologie, Ethnologie und Anthropologie. Dabei wird sichtbar, dass Kinder in indigenen Jäger-und-Sammlerinnen-Gesellschaften alles, was sie zum Leben benötigen, aus dem freien Spiel in altersgemischten Gruppen lernen.

Was hat das mit uns westlich geprägten Menschen der Industriemoderne zu tun? Sehr viel! Denn während 99 Prozent unserer Geschichte haben wir in solchen Zusammenhängen gelebt – genetisch betrachtet, sind auch wir Jäger und Sammlerinnen. Ausgehend von dieser Erkenntnis fragt der Autor: Wie muss Schule beschaffen sein, damit sie den überbordenden Spielund Bildungstrieb, den jedes Kind in dieses Leben mitbringt, nicht erstickt, sondern freisetzt und fördert? Eine Antwort findet er im Modell der demokratischen Sudbury-Valley-Schulen.

»Wenn wir nur den Willen dazu hätten, könnten wir unsere Kinder aus dem System der Zwangsbeschulung befreien, und stattdessen Lernorte für sie schaffen, die ihre Selbstbildungskräfte maximieren würden, ohne sie ihres angeborenen Rechts auf Spielfreude zu berauben.« (Peter Gray)

Erschienen im Drachenverlag