Soziale Strukturen – in welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Erschienen 2015 in Heft 65 – Innere und äußere Strukturen.

Walter Borgius schrieb bereits 1930 in der Einleitung zu seinem Buch ‚Die Schule – Ein Frevel an der Jugend‘:

»Nach allgemeiner Überzeugung der ganzen europäisch-amerikanischen Kulturmenschheit ist die Schule eine gemeinnützige Anstalt, welche von der Gesellschaft geschaffen ist im Interesse der jungen Generation, damit diese rechtzeitig die Fertigkeiten lernt, deren sie später bedarf, um den Anforderungen des Lebens gerecht werden zu können. In der neuen Zeit wurde dann ihre Leitung und Verwaltung auf den Staat abgewälzt, weil dieser, dank seiner größeren Neutralität, seiner reicheren Hilfskräfte und namentlich größeren Geldmittel ihre Aufgaben weit erfolgreicher zu erfüllen vermöchte. Vereinzelt noch vorkommende Mängel der Schule werden aus noch verbliebenen überholten Formen und Normen erklärt oder aus einem noch nicht zureichend erfolgtem Durchdringen neuer Errungenschaften der pädagogischen Wissenschaft. Es bedürfe daher weiteren Ausbaus und verständiger Reform der Schule, um sie zu immer wachsender Vollkommenheit zu führen und zu einem wahren Segen für die Jugend und die Gesellschaft überhaupt werden zu lassen. Diese – vom Staat allenthalben proklamierte und vom leichtgläubigen Publikum kritiklos treuherzig kolportierte – Auffassung ist grundfalsch.«

Weiter führt er dann aus, dass die Schule in erster Linie auch ein Herrschaftsinstrument des Staates sei und als solches grundsätzlich beseitigt gehöre.

Ganz so weit möchte ich dabei nicht gehen, aber eine wichtige Frage finde ich schon, wie das Bildungssystem aussehen müsste, um eben kein Herrschaftsinstrument mehr darzustellen. Heute sind es noch SPD und Grüne, die in Baden-Württemberg eine Vielfalt an Lebensmodellen in die Lehrpläne bringen. Doch vielleicht ist es in ein paar Jahren die AfD, die mitbestimmt, was in den Schulen gelehrt werden muss.

Demokratische Strukturen sind anfällig für Populismus. Und zentralistische Strukturen sind dabei besonders gefährlich, weil sie in falsche Hände geraten und missbraucht werden können. Der beste Schutz davor sind dezentrale Strukturen, was aber auch die Herausforderung mit sich bringt, andere Lebensstile aushalten zu müssen.

Wir als Freilerner*innen setzen uns für Bildungsvielfalt und damit für eine pluralistische Gesellschaft ein. Lauter werdende Forderungen nach Ausgrenzung, der Aufbau von Feindbildern und die Vorstellung kulturell homogener Nationalstaaten sind damit auch für uns eine gefährliche Entwicklung. Es scheint mir dabei gerade die schulische Sozialisation zu sein, die die meisten ja durchlaufen haben, die diesen Trend noch verstärkt.

Die oft behauptete Funktion der Schule als soziale Klammer der Gesellschaft halte ich für fragwürdig. Schon die Einzugsgebiete der Schulen bringen eine gewisse Sortierung nach sozialen Verhältnissen mit sich. Auch der Name des Schülers und der Berufsstand seiner Eltern haben Einfluss auf seine Noten und die Schulform, auf der er nach der Grundschule landet. Durch die homogene Altersstruktur der Klassen und den ständigen Wettbewerbsdruck wird ein Klima geschaffen, das häufig Ausgrenzung und Mobbing zur Folge hat. Sich persönlich mit all seinen Gefühlen in der Schule zu zeigen, ist für viele Schüler*innen undenkbar.

Was wir als soziale Klammer wirklich brauchen, ist eine starke und integrierende Zivilgesellschaft. Und als Konsequenz aus den laut werdenden Forderungen nach Ausgrenzung den Schulterschluss mit Flüchtlingen und Muslimen. Wir können unseren Teil dazu beitragen, indem wir an Asylkaffees teilnehmen, muslimische Gemeinden besuchen oder auch Flüchtlingsfamilien einladen mitzukommen, wenn wir als Freilernergruppe ein Museum oder den Tierpark besuchen.

Autor: Immanuel Wolf

Weiterführende Links:

K.R.Ä.T.Z.Ä., ‘Lernen in Freiheit – Entwurf eines freiheitlich-demokratischen Bildungssystems’

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