Muße im Kapitalismus

Muße, oder: Über die Unterordnung des erlaubten Materialismus unter kapitalistische Notwendigkeiten

Es gab eine Zeit, in der Adel und Klerus als »Klasse der Müßiggänger« 1 bezeichnet wurden. Zu tun und zu lassen, was einem beliebt und sich ganz frei von Notwendigkeiten allein privaten Neigungen, Wünschen und Genüssen hinzugeben, kurz: seinen Materialismus zu leben, so etwas wird nur dann zum Etikett einer ganzen »Klasse«, wenn in der Gesellschaft andere »Klassen« dazu genötigt sind, nicht nur für den eigenen Lebensunterhalt, sondern zugleich noch für den der »Müßiggänger« zu sorgen. Dabei versteht es sich von selbst – die Rede ist ja vom Feudalismus -, dass die Sorge für das leibliche Wohl und für alle materiellen Voraussetzungen sonstiger mehr oder weniger blöder Neigungen der hohen Herrschaften den dienstbaren Geistern der Gesellschaft wenig Zeit ließ, für sich selbst und die Seinen erstens anständig zu sorgen und zweitens dabei noch freie Zeit für eigene »Muße« zu erübrigen – vom Kirchgang, erzwungen mit der Androhung jenseitiger Scheußlichkeiten durch die klerikale Abteilung der »Müßiggänger«, einmal abgesehen. Und jede noch so elementare Weiterentwicklung der Produktivkräfte, die an sich eine Sorte Teilung der Lebenszeit in Arbeitszeit und freie Zeit für jedermann erlaubt hätte, bei der die Arbeit nicht das Leben auffrisst, sondern eine Zeit der Muße für alle ermöglicht, wäre unter den feudalen Verhältnissen ohnehin nur der herrschenden »Klasse der Müßiggänger« zu Gute gekommen.

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Die Sache mit den Produktivkräften ist mit der Entwicklung des Kapitalismus inzwischen auf einem guten Weg, der jeden feudalen Fortschritt in der Aneignung der Natur durch Arbeit alt aussehen lässt; dummerweise geht der Weg aber – und zwar mit Notwendigkeit – in die verkehrte Richtung. Die Zeit, die es inzwischen für die Herstellung all der Güter braucht, die hierzulande für die individuelle Konsumtion im weitesten Sinne, aber auch für die Produktionsmittel und für staatliche Gebrauchswerte von der Schule, über das Krankenhaus bis hin zu allerhand modernem Tötungsgerät benötigt werden, reduziert sich immer mehr, allerdings ohne dass dadurch die freie, für Muße zur Verfügung stehende Zeit aller Beschäftigten in gleichem Maße zunehmen würde. Dabei – und das gehört zu den brutalen Paradoxien dieser Produktionsweise – gibt es zwar für einen immer größer werdenden Teil der abhängig Beschäftigten jede Menge freie Zeit, doch stellt die für die Betroffenen keinen Grund zu ungetrübter Freude, sondern ein Ärgernis dar. 2 Es ist kein Rätsel, wovon die Rede ist: Arbeitslosigkeit ist gerade nicht die Befreiung von der Mühsal der Arbeit für mehr Muße, sondern steht gerade umgekehrt für die weitere lebenslange Kettung an Lohnarbeit und ihre kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten. Der Mensch, der vom Unternehmer seine Papiere erhält, bedankt sich nicht, springt nicht jauchzend mit dem Ruf aus der Fabrik: »Endlich frei, endlich kann ich tun und lassen was ich will!« Diese Sorte Befreiung von Arbeit ist nämlich gerade nicht Befreiung für selbstbestimmtes »Tun und Lassen«, für freigesetzten Materialismus. Das liegt – wie jedermann bekannt ist – daran, dass der Entlassene mit seiner Freiheit von Arbeit zugleich »befreit« ist von dem hierzulande alles bestimmenden Lebensmittel, dem Geld. Und damit fehlt es ihm an allem: an Kaufmittel für elementare und gehobene Lebensmittel für sich nebst Familie und erst recht für all das, was er brauchen würde, um »endlich« in Muße seinen Neigungen ungestört nachgehen zu können 3. Es sind damit gleich zwei weitere Paradoxien dieser Wirtschaftsweise festzuhalten. Zum einen: Die Not, die mit der Arbeitslosigkeit des »Ernährers« 4  in Haushalte einzieht, liegt nicht daran, dass es gesellschaftlich an Gütern für jeden Bedarf fehlen würde; es verhält sich bekanntlich ganz umgekehrt: Regelmäßig melden Betriebe oder ganze Volkswirtschaften Überproduktion an, wissen sich merkwürdigerweise in einer Krise, wenn sie einen Überfluss konstatieren. Der besteht einerseits aus Gebrauchsgütern auf Halde, wo sie dem Gebrauch entzogen sind, und andererseits aus weiteren freigesetzten Arbeitskräften, die diese Güter hergestellt haben und durchaus brauchen könnten. Die sitzen dann auf dem Jobcenter und warten bis ihre Nummer aufgerufen wird – was mit Muße auch nicht zu verwechseln ist. Zum anderen ist Geldmangel weder das Resultat von Faulheit noch von vorgängiger Verschwendung, also davon, dass der Beschäftigte nicht gespart hat. Schon wieder verhält es sich umgekehrt: Dass ihm alle Geldmittel fehlen, um die Freisetzung von Lohnarbeit als freie Zeit für sich genießen zu können, liegt daran, dass an ihm gespart wurde. Mit dem Lohn, den er erhält, versucht der Betrieb Kosten zu sparen, die sein Gewinneinkommen mehren; und weil deswegen so wenig zum privaten Sparen bei den Arbeitskräften verbleibt, zieht der Staat noch einmal ordentlich etwas ab. Er kassiert Steuern, ohne dabei zu sparen, und zusätzliche gesetzliche Versicherungsbeiträge, die er auch nicht extra für ihn aufspart, sondern nach eigenem Interesse über seine Sozialkassen so umverteilt, dass sich Arbeitslose und Kranke schnellstmöglich wieder um Arbeit bemühen müssen.

Dieser Mangel schlägt das Leben des Arbeitslosen in seinen Bann und bringt zudem Verpflichtungen mit sich, die für Muße kaum Raum lassen. Seine Befreiung von der Arbeit schließt keine Befreiung von Pflichten gegenüber der Staatsgewalt ein: Selbst derjenige, der sich jetzt angesichts der Alternative zwischen Jobsuche und einem reduzierten Leben auf Basis von ALG I oder Hartz IV für Letzteres entscheiden, sich also die meisten seiner Bedürfnisse abschminken 5 und zur Wohnwagenexistenz mit einem Leben von den Abfällen des Warenkapitals verdonnern will, um ausgerechnet in dieser selbstgewählten Mittellosigkeit »ganz bei sich zu sein«, hat die Rechnung ohne die politischen Sachwalter kapitalistischen Lebens gemacht. Umsonst ist im »Überflussparadies« nicht einmal das Existenzminimum 6 .

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Bei der Klasse der Beschäftigten sieht es mit Zeit für Muße kaum anders aus. Die im Kapitalismus eingerissene Verkehrung von Arbeit und Freizeit, Beruf und Privatsphäre, von Notwendigkeit und Freiheit bekommen sie an jedem Tag ihres Arbeitslebens mit, den sie in fremden Diensten zum Nutzen fremder Interessen verbringen. Dass sie sich den Arbeitsverhältnissen unterwerfen, um sich und den Ihren ein anständiges Leben mit gehobener Versorgung und ein wenig Muße zu verschaffen, ist mit Sicherheit einmal der Ausgangspunkt ihrer Arbeitskarriere gewesen. Spätestens dann, wenn sie diese »Karriere« nötigt, alles dafür zu tun, dass sie ihren Arbeitsplatz und mit ihm ihren Lohn erhalten, wird ihnen vorgeführt, dass Freizeit und Privatsphäre ziemlich vollständig im Dienst an der Sicherung des Jobs aufgehen. Nicht nur hat es sich so ein Beschäftigter dann zum Lebensprinzip zu machen, dass freie Zeit die Restgröße seiner Beanspruchung im Job ist, er ist überdies angehalten, sie von sich aus so zu gestalten, dass er nicht nur den nächsten Arbeitstag, sondern ein Arbeitsleben im Dienste an kapitalistischem Eigentum aushält. Um einen Rest seines Materialismus zu retten, muss er ständig einen Kampf zwischen freier Zeit für sich bzw. die Familie und der Organisation der Freizeit als Nach- und Vorbereitung des Arbeitslebens ausfechten. Für freie Betätigung nach Neigung und privaten Wünschen bleibt so wenig Zeit, dass mehr als das tagtägliche Fernsehschlafen, das Stammtischbier oder das Kicken mit Kumpels inzwischen als Luxus gilt. Diese Verkehrung – man lebt fast nur noch um zu arbeiten – bringt es zwangsläufig mit sich, dass Freizeitinteressen etwas anderer Art keine Überlebenschance haben bzw. nicht mehr ausgebildet werden. Dabei soll nichts gegen Kicken und Bier gesagt werden, doch gibt es neben den Angeboten zur Anstrengung des Schieß- und des Schluckmuskels in dieser Welt durchaus noch Sphären für weitergehende Genüsse und für Angebote, die zugleich mehr auf Anstrengung und Ausbildung des »Hirnmuskels« zielen – ohne die im Übrigen die meisten Genüsse fad sind.

Im Netz ist dafür die Gesamtheit des Wissens der Gesellschaft verfügbar, sodass sich – wenn es schon an Geldmitteln fehlt – wenigstens jedes ideelle Interesse in ihm bedienen kann: Ob es sich um das Wissen über ägyptische Pyramiden, über die Einstein’sche Gravitationslehre oder um die Anleitung zur Anlage eines Rosengartens handelt – wer das wissen will, erfährt neben jedem Unfug auch alles Gescheite zur Sache. Nur etwas liefert das Netz nicht mit: Die Zeit, die dazu nötig ist, und den Willen, den es braucht, diese Sorte geistiger Anstrengung neben denen des Jobs aufzubringen. So kommt eins zum andern: Nicht nur Geldmittel und Zeit fehlen der großen Masse abhängig Beschäftigter hierzulande, um sich »in Muße« Neigungen und Interessen hinzugeben, es trägt die Unterwerfung unter lebenslange Lohnarbeit auch zur Bornierung des Verstandes bei.

Übrigens beginnt das Training zur geistigen Verwahrlosung bereits in der Schule: Wer dem Schulunterricht entnimmt, dass sein Kopf fit fürs Geldverdienen gemacht werden soll, der geht schon mal mit der Frage, wozu er denn dieses und jenes lernen müsse, wo er es doch »später nicht brauche«, gegen den Schulstoff an. Und – um einen Sprung ans Lebensende zu machen – es gibt nichts Trostloseres als den Rentner, der nach Beendigung des Arbeitslebens, also dann, wenn endgültig Schluss ist mit der Maloche, mit seinem Leben nichts mehr anzufangen weiß und der Arbeit als seinem eigentlichen Lebensinhalt nachtrauert. Er ist die Verkörperung der Volksweisheit, dass »Müßiggang aller Laster Anfang« ist; wenngleich für Laster die Rente hinten und vorn nicht reicht, das Kicken die Knochen nicht mehr mitmachen und den Rest der Arzt verboten hat.

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Bleibt noch die Elite der Gesellschaft, die gehobenen Funktionäre aus Ökonomie und Politik, aus Kultur und Öffentlichkeit usw. Es ist unbestreitbar, dass ihre finanzielle Lage es vielen von ihnen ermöglichen würde, sich »der Muße« und auserlesenen Genüssen hinzugeben, d.h. sich vom Beruf und seinen Anforderungen zu verabschieden und sich ganz ihren privaten Interessen zu widmen. Und viele von ihnen nutzen das auch. Eine »Klasse von Müßiggängern« wird daraus dennoch nicht. Dafür gehen ihre Interessen viel zu sehr auf im Inhalt ihrer elitären Funktionen – der betrieblichen Organisation des Gewinnemachens, der Durchsetzung neuer Steuer-, Asyl- oder Schulgesetze, der Volksverdummung per FAZ, Spiegel oder BILD, der Aufbereitung bürgerlicher Ideologien zu kulturellen Events usw. Gehobenere Freitzeitbedürfnisse sind aber sehr wohl zu entdecken: Statt Bier werden Champagner und Drogen konsumiert, das Kicken durch das Roulette ersetzt, das Fernsehen durch Bayreuth und der Kurzurlaub nicht auf Balkonien mit der Familie sondern auf den Malediven mit »Partnern« verbracht.

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Daneben hält sich diese Gesellschaft auch eine geistige Elite, die häufig per Beamtentum von produktiver Arbeit freigesetzt ihren Verstand betätigt. Irgendwoher müssen die genannten ideellen Angebote im Netz ja kommen – die im Übrigen den Nutzer auch einiges kosten. Was da in Hochschulen jeder Art und in sonstigen staatlichen und privaten Forschungseinrichtungen zusammengedacht und entwickelt wird und – um bei den Naturwissenschaften zu bleiben – neue »Siege des Menschen über die Naturkraft« bringt, das landet längst nicht alles im Netz und wird schon gar nicht wegen des allgemeinen, ubiquitären und jederzeitigen Zugriffs über das Netz produziert. Im Netz landet das Wissen der Gesellschaft – das alte und das neue, das über Natur, Kultur und Gesellschaft – nämlich nur unter drei Bedingungen: Erstens muss es freigegeben, d.h. der exklusiven Verfügung durch staatliche Einrichtungen oder private Betriebe entzogen sein, die scharf darauf sind, Wissen per Patent als Konkurrenzmittel zu nehmen und andere von ihm auszuschließen. 7 Zweitens muss es sich für Netzbetreiber lohnen; und drittens darf es staatlichen Vorschriften über erlaubtes und nicht erlaubtes Denken nicht in die Quere kommen. Das handhaben demokratische Staaten häufig sehr locker. Rassistische Theorien findet man ebenso im Netz wie anarchistische oder kommunistische. Offenbar setzt der Staat darauf, dass seine Indoktrination durch Schule, Öffentlichkeit, Kultur und Politik seine Staatsbürger hinreichend gegen den »falschen« Gebrauch dieser Netzinhalte imprägniert. Leider mit Erfolg, weswegen er mit der Vielfalt der Angebote im Netz auch noch fürchterlich angeben kann. Als Beleg der Meinungsfreiheit kann er sie gar nicht genug loben – in der Gewissheit, dass sie nicht gegen ihn verwandt werden. Wer hat denn auch schon die Muße, sich mit ihrer Hilfe der Kritik dieser Verhältnisse ernsthaft zu widmen?

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Dass das Leben sich zu lohnen hat, dass man für sich selber arbeiten will, dass es eine Lebensabteilung für freien Genuss geben muss, dass Muße zur freien Zeit gehört – all das, was sich unter ›Materialismus‹ zusammenfassen lässt, bestimmt irgendwie Sinnen und Trachten aller Menschen im Kapitalismus; auch derjenigen, die in fremden Diensten ihr Geld verdienen müssen. Niemand verlässt die Schule mit der Absicht, dass es ihm in Zukunft so richtig schlecht gehen soll. Das Arbeitsleben wird immer als ein – letztlich nur wenig erfolgreiches, dauerhaftes – Ringen um Verbesserung von »Lebensqualität« resümiert. Und selbst im (Renten-)Alter schaffen es die meisten der Alten, sich mit der Lebenslüge, sie hätten es so schlecht gar nicht getroffen und anderen ginge es noch viel schlechter, wenigstens negativ daran zu erinnern, dass Wohlergehen ihr Lebenszweck war.

Was sie nicht schaffen ist, sich einmal distanziert einige Fragen vorzulegen: Welche Zwecke regieren eigentlich eine Gesellschaft, in denen staatlicherseits erlaubt und geschützt ist – »Jeder ist hier seines Glückes Schmied!« -, was jedermann auch ganz ohne irgendeine Erlaubnis umtreibt, nämlich die Verfolgung der eigenen Wohlfahrt? Warum ist das erlaubte Verfolgen dieses elementaren Anliegens unter den Bedingungen der herrschenden Wirtschaftsweise für die meisten Zeitgenossen ein ständiger Kampf? Welche Sorte »Glückssuche« wird eigentlich erlaubt, wenn deren Resultate mit Regelmäßigkeit bei der Mehrheit der Mitmenschen negativ bilanziert werden? Und warum fällt diese Bilanz eigentlich so unschön aus, wo sie es die einkommensabhängigen Zeitgenossen an Arbeitsanstrengung wirklich nicht fehlen lassen und einen Reichtum an Gütern zustande bringen, der sie aller Sorgen entheben und ihnen überdies alle Wünsche erfüllen könnte? Fragen über Fragen! Es würde sich lohnen, ihnen einmal in Muße – über die Andeutungen dieses Textes hinaus – nachzugehen.

Freerk Huisken
www.fhuisken.de

Nr_69
Der Artikel ist 2016 in Heft 69 – Muße erschienen.

 

 

Weiterführende Verlinkungen:

 

Freerk Huisken

Erziehung im Kapitalismus

Von den Grundlügen der Pädagogik und dem unbestreitbaren Nutzen der bürgerlichen Lehranstalten
Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe

472 Seiten | 2016 | EUR 29.80
ISBN 978-3-89965-691-6

Erschienen im VSA Verlag

 

Auszug aus dem Vorwort zur erweiterten Neuauflage:

Ein vollständig neues Kapitel widmet sich den Schulreformen, die seit und anlässlich des »PISA-Rankings« von 2001 initiiert worden sind. Unter dem Titel: »Die  dritte Bildungskatastrophe: Der ›PISA-Schock‹ und die Folgen« wird u.a. die Umgestaltung des Schulwesens zur zweizügigen Form, die Neuauflage der Debatte über die  Chancengleichheit und auch der (Schüler-)Protest gegen die Reform thematisiert. Obwohl die Staatsschulen inzwischen in Anliegen und Methoden heftige Anleihen bei den  Alternativschulen gemacht haben, sich deswegen eigentlich nur noch die »Freilerner«  oder Schulverweigerer-Bewegung, die der Schulpflicht eine radikale Absage erteilt, als  Alternative deuten lässt, ist das entsprechende Kapitel, ergänzt um ein entsprechendes  Unterkapitel, in dieser Ausgabe geblieben. Die falschen Urteile, die im Rahmen der  Alternativschulbewegung aktuell wurden, lassen sich einfach nicht ausräumen.
Quelle: Inhalt und Leseprobe zum Buch (PDF)

Ausbildung im Kapitalismus: Macht die Schule dumm? (Freerk Huisken, GegenStandpunkt)

Ausbildung im Kapitalismus: Macht die Schule dumm? (Freerk Huisken, GegenStandpunkt)

  1.  Ob diese Bezeichnung von Henri de Saint-Simon eine korrekte Bestimmung oder nur eine Polemik darstellt, ist für mich erst einmal nicht von Interesse. Auf jeden Fall trifft sie einen, nämlich den angesprochenen Gesichtspunkt des parasitären Daseins dieser »Klasse«.
  2.   Den Zusammenhang hat K.Marx in: Das Kapital, Bd. 1, S.464f entwickelt: »Es ist eine unzweifelhafte Tatsache, dass die Maschinerie an sich nicht verantwortlich ist für die »Freisetzung« der Arbeiter von Lebensmitteln. Sie verwohlfeilert und vermehrt das Produkt in dem Zweig, den sie ergreift, und läßt die in andren Industriezweigen produzierte Lebensmittelmasse zunächst unverändert. Nach wie vor ihrer Einführung besitzt die Gesellschaft also gleich viel oder mehr Lebensmittel für die deplacierten Arbeiter, ganz abgesehn von dem enormen Teil des jährlichen Produkts, der von Nichtarbeitern vergeudet wird. Und dies ist die Pointe der ökonomischen Apologetik! Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung! Da also die Maschinerie an sich betrachtet die Arbeitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag verlängert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre Intensität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die Naturkraft ist, kapitalistisch angewandt den Menschen durch die Naturkraft unterjocht, an sich den Reichtum des Produzenten vermehrt, kapitalistisch angewandt ihn verpaupert usw., erklärt der bürgerliche Ökonom einfach, das Ansichbetrachten der Maschinerie beweise haarscharf, daß alle jene handgreiflichen Widersprüche bloßer Schein der gemeinen Wirklichkeit, aber an sich, also auch in der Theorie gar nicht vorhanden sind.«
  3.  Dies stellt keine Parteinahme für Neigungen aller Art dar, nur weil es sich um selbstgewählte Neigungen handelt. Wer z.B. als Hobby das Sammeln von Militaria pflegt oder als Autogrammjäger unterwegs ist, der kann sich nicht nur meiner Kritik gewiss sein.
  4. Jedermann, der sich an der maskulinen Form stört, mag sich hier und an jeder anderen Stelle gleich das »-Innen« dazu denken. Ich möchte verhindern, dass ein Streit über die korrekte Schreibweise meinen Gedankengang marginalisiert.
  5. Und sich dazu noch eine Philosophie zulegt, die es zu wahrem Menschentum verklärt, die kapitalistische Denaturierung des »Sieg(s) des Menschen über die Naturkraft« (s.Anm.1.) an sich selbst als Bedürfnislosigkeit auszutragen.
  6. Mit ALGI oder ALGII in den Fängen des Sozialstaats gibt es die Meldepflicht, die Pflicht zur Annahme von Jobs, die Reduzierung der Hilfe bei Versäumnissen usw.
  7. Vgl. dazu den Artikel über geistiges Eigentum in der ZS: GegenStandpunkt, Heft 2/2015